DA-Rezensionen online

Digitale Vorab-Veröffentlichung der Rezension aus DA 81,1 (2025) *.

Sie bleibt nach Erscheinen der Printausgabe online verfügbar.

Dominique Barthélemy / André Vauchez / Nicolas Grimal (éd.), Langeais, Foulque Nerra et les châteaux des pays de Loire, de l’an mil à la première croisade. Actes du colloque organisé au château de Langeais, les 6 et 7 octobre 2021, Paris 2023, Académie des Inscriptions et Belles-Lettres, 191 S., Abb., ISBN 978-2-87754-700-0, EUR 22. – Der Band enthält die archäologischen und historischen Beiträge einer Tagung, in deren Mittelpunkt der Donjon von Langeais, vielleicht der erste aus Stein errichtete nördlich der Loire, und Fulko Nerra (987–1040), Graf von Angers und einer der mächtigsten französischen Fürsten seiner Zeit, standen. Dominique Barthélemy, Introduction (S. 7f.), weist auf die häufig negative Bewertung Fulko Nerras in modernen Darstellungen hin und stellt die von Georges Duby vertretene These einer „mutation féodale de l’an mil“ infrage. – Edward Impey / Élisabeth Lorans, Retour à Langeais (S. 9–28), fassen die jüngsten Ergebnisse der archäologischen Forschungen zum steinernen Donjon von Langeais, von dem noch mehr als die Hälfte erhalten ist, zusammen. Er befand sich innerhalb einer größeren Befestigungsanlage, umfasste wohl zwei Stockwerke und hatte einen Grundriss von ca. 18 m Länge und 7 m Breite. Erbaut wurde er sehr wahrscheinlich Ende des 10. Jh. von Fulko Nerra. Bemerkenswert ist die Einschätzung, dass die Galerie, die die beiden im Osten vorgelagerten Türme miteinander verband, der Aussicht auf die Loire dienen sollte. – Luc Bourgeois, Le site de la motte de La Chapelle (Doué-en-Anjou, Maine-et-Loire) et le destin d’un palais carolingien d’Aquitaine (S. 29–49), möchte nicht ausschließen, dass Vorgängerbau der in Doué-en-Anjou (südwestlich von Saumur) in den Jahren 1967–1970 ausgegrabenen Turmhügelburg die Pfalz war, in der Ludwig der Fromme vom Tod seines Vaters erfuhr (BM2 Nr. 519e). – Pierre Papin, Le château de Loches sous Foulque Nerra à la lumière des fouilles récentes (S. 51–83), betont die strategisch günstige Lage von Loches (südöstlich von Tours) als Ausgangspunkt militärischer Unternehmungen der Grafen von Angers gegen die Grafen von Blois und Poitiers. Fulko Nerra baute die Festung, die spätantiken Ursprungs war und 742 von den Hausmeiern Pippin und Karlmann zerstört wurde (BM2 Nr. 44a), im frühen 11. Jh. zu seiner nach Angers wichtigsten Residenz aus: Er ließ nicht nur den mächtigen, heute noch weitgehend erhaltenen Donjon errichten, sondern auch den hölzernen Palast abreißen und durch eine steinerne Aula ersetzen, die mit einer Grundfläche von 488 m2 eine für ihre Zeit außergewöhnliche Größe hatte. Das von seinem Vater gegründete Marienstift erhielt ebenfalls einen neuen Kirchenbau, und außerhalb der Festungsanlage gründete er die Abtei Beaulieu(-lès-Loches), die 1008 durch den päpstlichen Legaten Petrus von Piperno geweiht wurde. Als wertvollste Reliquie schenkte Fulko ihr ein Bruchstück des Heiligen Grabs, das er selbst von einer Pilgerfahrt nach Jerusalem mitgebracht hatte. – Dominique Barthélemy, Les premières campagnes de Foulque Nerra (990–995) d’après Richer de Reims (Histoires, IV.79, 81–86, 90–93) (S. 85–125), setzt sich zunächst kritisch mit älteren Arbeiten zu Richer von Reims und Fulko Nerra bis hin zur Monographie von Bernard Bachrach (vgl. DA 51, 343f.) auseinander, um sodann eingehend die Kapitel, die Richer den frühen militärischen Auseinandersetzungen seines Zeitgenossen Fulko widmete, zu analysieren (ed. Hartmut Hoffmann, MGH SS 38, Buch IV, 79, 81–86, 90–93, S. 286–290, 292–295). Richers Darstellung gewährt einen zuverlässigen und tiefen Einblick in die normierte Praxis der Kriegsführung jener Zeit, bei der Gewaltanwendung sich möglichst auf die Hintersassen beschränkte, während es die Eliten vermieden, den Gegner zu töten. Namentlich der Konflikt Fulkos mit Graf Odo I. von Blois belegt, dass sich die Kontrahenten gegenseitig keinen irreparablen Schaden zufügen wollten. Eine Ausnahme stellte die blutige Schlacht von Conquereuil (östlich von Redon) dar, in der Fulko 992 einen Sieg über Graf Conan I. von Rennes, der im Kampf fiel, erringen konnte. Anschließend muss der religiöse und soziale Druck auf Fulko so groß gewesen sein, dass er der Kirche von Angers 993/94 eine Schenkung machte pro poenitentia de tam magna strage christianorum quae acta est in planicie Conquareth (zit. S. 110f.). Der Anhang des Beitrags umfasst die einschlägigen Kapitel der Historien mit französischer Übersetzung. – Chantal Senséby, Regards de moines sur les châteaux de Foulque, comte d’Anjou (987–1040) (S. 127–147), wertet die Urkundenbestände der Abtei Noyers (südlich von Tours, Diöz. Tours) von ihrer Gründung 1031 bis zum Jahr 1111 aus, um Aufschluss über die Verwendung des Begriffs castrum zu erlangen. Im strategisch wichtigen Tal der Vienne gelegen, fügte sich das Kloster in den Burgengürtel ein, der den nordöstlichen Grenzabschnitt des Anjou kontrollierte. Sein Grundbesitz beschränkte sich auf eine Region, deren Ausdehnung von Nord nach Süd ca. 40 km und von Ost nach West ca. 20 km betrug. Es fällt auf, dass Namen von Burgen nur dann mit dem Zusatz castrum versehen wurden, wenn sie weiter als 25 km vom Kloster entfernt lagen. Offenbar handelte es sich um Gegenden, in denen Noyers über keinen Besitz verfügte und die den Mönchen deshalb kaum vertraut waren. Um Verwechslungen zu vermeiden, hielt man die genauere Kennzeichnung für nötig. Wenn die Abtei Marmoutier (bei Tours, Diöz. Tours), deren Besitzungen viel ausgedehnter waren, in Urkunden auf Formulierungen wie castrum quod vocatur in der Regel nicht verzichtete, dann lässt sich das damit erklären, dass die Mönche auf ältere Urkundenformulare zurückgriffen. – Jean-Marie Moeglin, La construction historiographique de l’image de Foulque Nerra (XIe–XXe siècle) (S. 149–184), bietet einen breiten Überblick über das Bild Fulko Nerras in der Geschichtsschreibung, angefangen mit Richer von Reims bis hin zu Achille Luchaire. Sein besonderes Interesse gilt den Gesta consulum Andegavorum, die in drei Redaktionen vorliegen. Sie wurden zwischen 1131 und 1173 verfasst, mithin in den Jahrzehnten, da das Anjou in das Reich der Plantagenêts eingegliedert wurde. Ziel der Gesta war es, die Rolle der Touraine als Zentrum des Reichs und Martin von Tours als Schutzheiligen der Dynastie hervorzuheben. Das Bild, das die verschiedenen Fassungen von Fulko vermitteln, wandelte sich: Während er in der ersten Redaktion als idealer Ritter gezeichnet wird, verschweigt die zweite seine gewalttätigen Züge nicht. Jean de Marmoutier, Autor der dritten, König Heinrich II. von England gewidmeten Redaktion, charakterisiert den Grafen hingegen als gottesfürchtigen Mann, der sich mit all seiner Kraft für den Schutz der Kirche, vor allem in der Touraine, einsetzt. Da das Anjou im Reich der Plantagenêts nur mehr eine untergeordnete Rolle spielte, war den Gesta zunächst kein großer Erfolg beschieden. Erst die Geschichtsschreibung der frühen Neuzeit griff wieder auf sie zurück und trug dazu bei, dass Fulko Nerra zu der populären Gestalt wurde, der Achille Luchaire im 1901 erschienenen zweiten Band der Histoire de France ein farbiges Porträt widmete. – André Vauchez, Conclusion (S. 185–187), resümiert die Ergebnisse der Tagung, die unser Wissen über Wehrbauten zur Zeit der Jahrtausendwende bereichern und der historischen wie auch der mythischen Gestalt Fulko Nerra schärfere Konturen verleihen.

Rolf Große