Bonfiglio d’Arezzo, Dictamina. Edizione critica a cura di Gian Carlo Alessio (Edizione nazionale dei testi mediolatini d’Italia 67 – serie 1, 35) Firenze 2023, SISMEL – Edizioni del Galluzzo, VIII u. 296 S., ISBN 978-88-9290-218-3, EUR 66. – A. bietet eine vollständige Edition aller Musterbriefe, die mit Sicherheit oder großer Wahrscheinlichkeit Bonfiglio d’Arezzo, einem Meister der ars dictaminis um die Mitte des 13. Jh. in städtischen Diensten, zugeschrieben werden können. Der Vf. hat schon mehrere rhetorische und grammatische Werke des 11.–14. Jh. ediert und kommentiert, man denke an seine kritische Edition des Candelabrum des Bene von Florenz (vgl. DA 41, 241f.), an Aufsätze über Brunetto Latini (vgl. DA 39, 649) oder Giovanni del Virgilio (vgl. DA 40, 672). Das Corpus der Dictamina Bonfiglios unterrichtet über seine Tätigkeit als Lehrer der Rhetorik in der Stadt Borgo San Sepolcro (heute Sansepolcro, Provinz Arezzo) und später, oder auch gleichzeitig, in Arezzo selbst; weniger sicher ist, ob seine Lehrtätigkeit am studium dieser Stadt angesiedelt war. Der einführende Teil präsentiert einen accessus zu Leben und Werk Bonfiglios und die Editionsprinzipien, der zweite eine kritische Edition der Dictamina, die nach allen Regeln der Kunst erstellt ist. Bonfiglios Person ist, in den Worten des Vf., „poco più che un fantasma e la biografia che riusciamo a scriverne elusiva, sorretta da malferme testimonianze e da molta congettura“ (S. 4). Versucht man, die Fixpunkte seiner Biographie zu markieren, so ist als erstes die Annahme von Helene Wieruszowski zurückzuweisen, er sei als Notar aktiv gewesen (wenn A.s Vermutung zutrifft, die Lesart der Hs. Florenz, Bibl. Nazionale Centrale, II. IV. 312, im Dictamen 160, noterius, sei zu notorius zu emendieren und nicht zu notarius), während „l’essere stato ... maestro di retorica epistolografica è … il solo … filo rosso col quale riesce di collegare alcune tappe della sua esistenza“ (S. 6). Einen Eindruck von der Bedeutung dieser Tätigkeit vermittelt der Brief des Podestà von Arezzo Stoldo Berlingheri an Papst Alexander IV. von 1258/59 (Dictamen 161); dieser Hinweis auf eine Datierung liefert in Verbindung mit weiteren Indizien im Text der Dictamina einen, allerdings ziemlich unsicheren, Anhaltspunkt für eine zeitliche Einordnung der Lehrtätigkeit Bonfiglios. In den Jahren kurz vor diesem Datum dürfte er in Sansepolcro gewirkt haben, in den Folgejahren in Arezzo. Ob er allerdings am studium von Arezzo unterrichtet hat oder nicht, ist nicht zu entscheiden, auch wenn A. meint: „diremo … ammissibile la probabilità di un legame, a qual titolo non riesce di asseverare, di Bonfiglio con lo Studium aretino“ (S. 11). Mit Sicherheit lässt sich sein Tod in den Zeitraum zwischen 1261/62 und dem 25. Juni 1266 legen, auf den ein Dokument seines Sohns Abbracciante datiert ist, das ihn als verstorben nennt. Die Sammlung, die Bonfiglio d’Arezzo zuzuschreiben ist, ist „disorganica e casualmente assemblata“ (S. 19); sie ist vor allem in der Hs. Cologny, Fondation Bodmer, 132, überliefert, außerdem in Vatikan, Bibl. Apostolica Vaticana, Ottob. lat. 3182. Dazu kommen vier Dictamina in Turin, Bibl. Nazionale Univ., H. III. 38, sowie ein einzelnes in der schon erwähnten Florentiner Hs. Der Vf. informiert ausführlich über die Charakteristika der Sammlung und über ihre Überlieferungsgeschichte (S. 12–24). Die 25 sicher Bonfiglio zuzuschreibenden Briefe zeigen, wie A. an anderer Stelle dargelegt hat, bestimmte Eigentümlichkeiten, die eine klarere Vorstellung von seinem Schaffen ermöglichen: Wie schon Wieruszowski gezeigt hat, erscheint als wichtigster Bezugspunkt die sogenannte „Schule von Capua“ (Thomas von Capua, Petrus de Vinea u. a.). Einen gewissen Abstand zu dieser „Schule“ signalisieren allerdings der weniger geschliffene Stil Bonfiglios und die Unmöglichkeit, „un persuasivo rapporto con individuabili maestri“ (S. 25) auszumachen. Den Stil charakterisiert A.: „s’avverte ... a fronte dei suoi palesi modelli una sorta di elaborazione stilistica sempre ‘in minore’, compromissoria tra l’arditezza stilistica della curia federiciana e un’adesione alla meno complessa consuetudine scrittoria di quella pontificia“ (S. 26). Festzuhalten ist das Fehlen jeglichen expliziten Zitats, und auch implizite Übernahmen, selbst aus der Bibel, sind äußerst selten, ebenso Bezugnahmen auf Themen und Bildwelten der christlichen Tradition. S. 43–54 werden die Hss. beschrieben, S. 54–65 die Varianten des Textes besprochen. Der edierte Text besteht aus 163 Dictamina, dazu kommen weitere 26 im Anhang. Zu jedem Dictamen finden sich Angaben zu früheren Editionen, wenn vorhanden, ein Regest, die Siglen der Überlieferungsträger und nützliche Informationen zum Kontext des Stücks, ein Variantenapparat und ein knapper Kommentar in den Fußnoten. Ein Anhang bietet die Texte, die im Ottobonianus überliefert sind (außer einem, der sich auch in der Florentiner Hs. findet und deshalb im Hauptteil ediert ist), für die A.s stilkritische Untersuchungen keine eindeutige Zuschreibung an Bonfiglio ergeben haben und die deshalb weitere Forschungen erfordern würden. Inhaltlich gehört der allergrößte Teil der Musterbriefe in die Sphäre des Privatlebens, doch Beispiele von öffentlichem Charakter fehlen nicht ganz, wie etwa das schon erwähnte Dictamen 161. Für diese Briefe gilt allerdings: „in pochi casi giungono a valicare l’orizzonte assai circoscritto del comune aretino e appaiono comunque alieni dalla volontà ... di inserirsi nella considerazione sociale e politica dei densi anni su cui è arcata la [loro] composizione“ (S. 20). Register der Hapax legomena (S. 267), der Incipits und Explicits (S. 269–274), der Grußformeln (S. 275–279) und der Personen und Orte (S. 281–292) beschließen den Band.
Giovanni Spalloni (Übers. V. L.)