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Simone Lombardo, La Croce dei Mercanti. Genova, Venezia e la Crociata Mediterranea nel tardo Trecento (1348–1402) (Mittelmeerstudien 23) Paderborn 2023, Brill Schöningh, XIII u. 638 S., ISBN 978-3-506-79085-9, EUR 158. – Thema dieser Monographie sind die sich wandelnden Einstellungen zum Kreuzzug seitens der Kaufleute von Venedig und Genua, den mächtigsten Handelsrepubliken, deren Teilnahme seit dem 12. Jh. entscheidend für das Zustandekommen von Kreuzzügen war. L. zeigt, dass der Schwarze Tod und spätere Epidemien und Hungersnöte, das Vordringen der Türken und Parteienkämpfe innerhalb Venedigs, vor allem aber Genuas, ein Klima von Verzweiflung und Pessimismus entstehen ließen, das sich in den Chroniken der Zeit aus Venedig und Genua widerspiegelt, die bisweilen einen Kreuzzug überhaupt nicht erwähnen, selbst wenn Venezianer oder Genuesen an ihm beteiligt waren. Das bisher spürbare Vertrauen auf das Machtwirken Gottes verschwand zwar nicht vollständig, aber das Schicksal, ein Faktor, der nichts zu tun hat mit Tugenden und Fehlern, trat neu auf als irrationale Determinante des Menschenloses; Klugheit und Vorsicht traten als Kardinaltugenden an die Stelle von Wagemut und Unternehmungsgeist. Parallel versiegte der Strom der Reliquien aus dem östlichen Mittelmeerraum nach Venedig und Genua, der einst so bedeutend gewesen war, im späteren 14. Jh. allmählich, abgesehen von Ikonen und anderen Reliquien, die von Griechen vor den andrängenden Türken in Sicherheit gebracht wurden. Das passagium der Kreuzzüge verlor zwar nie ganz seinen Charakter als religiöses Werk, wurde aber doch in beachtlichem Ausmaß ersetzt durch neue, nach innen gerichtete, mystische Bewegungen wie die Flagellantenbruderschaft der Bianchi gegen Ende des 14. Jh., auch wenn diese sich bei der Kreuzzugssymbolik bedienten. Aus den Testamenten verschwinden Legate zugunsten eines passagium im späten 14. Jh. nahezu vollständig, stattdessen wird an caritative Stiftungen, monastische Orden oder an die Armen vermacht, man interessierte sich also eher für die sozialen Probleme zuhause. Kreuzzüge und kreuzzugsähnliche Kriegszüge zielten nun auf den Kampf gegen die osmanischen Türken, nicht auf die Wiedererlangung des Heiligen Landes; der Kreuzzug Peters I. von Zypern 1365 gegen das ägyptische Alexandria ist eine absolute Ausnahmeerscheinung. Dagegen nahmen die Pilgerfahrten ins Heilige Land und zum Katharinenkloster auf dem Sinai zu, an denen sich Adlige, Amtsträger und Prälaten beteiligten und für die Venedig sich fast ein Monopol auf den Pilgerverkehr sicherte. Das war gewissermaßen eine neue, friedliche Form des Kreuzzugs. Als Einzelpersonen freilich waren die venezianischen und Genueser Kaufleute weiterhin engagiert, auch wenn der Einsatz ihrer Städte als Institutionen nachließ. Sie nahmen als Kapitäne von Galeeren teil an den Heerzügen von König Peter I. gegen die Mameluken 1365 und von Graf Amadeus von Savoyen gegen die Osmanen 1366; sie gaben Kredite für den Freikauf von Gefangenen nach dem fehlgeschlagenen Kreuzzug der Franzosen und Burgunder gegen die Osmanen 1386, der in der Katastrophe von Nikopolis endete. L. vermutet, dass die Ostkirchen, Griechen, Armenier und Syrer, die durch die Vorstöße der Osmanen bedroht waren oder auch unter der mamelukischen Herrschaft mit ihren gelegentlichen Christenverfolgungen und Zwangskonversionen litten, die stärksten Befürworter der Kreuzzugsbewegung waren. Er weist auch darauf hin, dass in den Grenzregionen im östlichen Mittelmeerraum die Bündnisverhältnisse instabil waren: Kaufleute aus Venedig und Genua konnten muslimischen Herrschern dienen; Korsaren konnten zeitweise im Dienst fremder Staaten stehen und trotzdem am christlichen Glauben festhalten, anders als in der frühen Neuzeit, als alle Barbaresken-Korsaren europäischer Abstammung zum Islam übertraten. Die Grenze zwischen Christen und Muslimen war durchlässig im späten MA; aber es gab die religiöse Grenze noch, und der Konflikt zwischen den beiden Religionen verschärfte sich sogar. Dennoch, so L., ist das Dilemma zwischen dem Dienst am Glauben und der Verfolgung eigener Interessen erst eine neuzeitliche Erscheinung. Die Kaufleute von Genua und Venedig nahmen keinen solchen Zwiespalt wahr, wie die sprechenden Beispiele von Benedetto Panzano, Filippo Demerode, Francesco Gattilusio, Pietro Recanelle und Carlo Zen illustrieren. L. schließt daraus, dass die Kaufleute, wenn sie Idealismus und eigene Interessen gleichzeitig verfolgten und eine Kreuzzugsunternehmung mit Vorsicht angingen, keineswegs zynisch handelten, sondern das Überlebensnotwendige taten in einer komplexen Welt, mit der sie wesentlich besser vertraut waren als die vom Rittertum träumenden und gefühlsgeleiteten Adligen des Nordens, die auf einen Kreuzzug gingen und dann in ihre Heimat, fern vom Schauplatz der Kreuzzüge, zurückkehrten. Die Einstellung der Kaufleute zum Kreuzzug war die von Menschen, die daran gewohnt waren, Kalkulationen anzustellen und Risiken zu bewerten, aber bei alldem spielte doch auch das Engagement für den Kreuzzug und den Glauben eine gewichtige Rolle. L. entwickelt diese These energisch und kenntnisreich, und sein Buch ist ein wertvoller Beitrag zur Geschichte der Kreuzzüge und zur Rolle Venedigs und Genuas im Mittelmeerraum im ausgehenden 14. Jh. (siehe auch oben S. 396f.).

Nicholas Coureas (Übers. V. L.)