Karl Ubl, Rasse und Rassismus im Mittelalter. Potential und Grenzen eines aktuellen Forschungsparadigmas, in: HZ 316 (2023) S. 306–341, beschäftigt sich mit der komplexen und in den letzten Jahren viel diskutierten Frage, inwieweit es bereits im MA Vorstellungen von Rasse und Rassismus gab. Während „Rasse“ heute stark negativ konnotiert ist und häufig mit der modernen Rassentheorie in Verbindung gebracht wird, zeigt U., dass im englischsprachigen Raum ein breiteres Begriffsverständnis vorherrscht, das eng mit der Vorstellung der ethnischen Herkunft verknüpft ist. U. geht auch auf die Debatte über die Trennung der Begriffe „Rasse“ und „Rassismus“ und die Gefahr anachronistischer Übertragungen ein. Vor dem Hintergrund der Thesen von Jean-Frédéric Schaub, der eine „Rassifizierung“ in der Vormoderne erkennt, aber vor einer zu einfachen Übertragung moderner Kategorien auf das MA warnt, plädiert U. dafür, Diskurse über Fremdheit, Ethnozentrismus und Diskriminierung im MA differenziert zu betrachten und nicht zwangsläufig als Rassismus im modernen Sinn zu verstehen. Forschungsgeschichtlich sei u. a. zu beachten, dass der Begriff „Rasse“ in der Mediävistik lange Zeit mit gens gleichgesetzt wurde und damit ein Verständnis von Abstammung und ethnischer Identität ausdrückte, das erst in der Neuzeit biologisiert wurde. Jüngere Zugänge wie die Critical Race Theory hätten jedoch neue Einsichten in vormoderne Sozialstrukturen und Machtverhältnisse ermöglicht. U.s differenzierte Betrachtung der Diskurse ist ein Plädoyer dafür, sich den vielfältigen methodischen und konzeptionellen Herausforderungen zu stellen, und betont zugleich, wie problematisch eine allzu großzügige Anwendung moderner Kategorien auf historische Phänomene sein kann. Durch die kritische Rekapitulation der Forschungsgeschichte einerseits und neuer methodischer Ansätze andererseits handelt es sich um eine wertvolle Bestandsaufnahme eines ebenso unübersichtlichen wie kontroversen Themas.
Matthias Schrör