Reformatio? Les mots pour dire la réforme au Moyen Âge, sous la direction de Marie Dejoux (Histoire ancienne et médiévale 192) Paris 2023, Éditions de la Sorbonne, 314 S., Abb., ISBN 979-10-351-0882-3, EUR 25. – Obwohl der Begriff „Reform“ im zeitgenössischen politischen Diskurs allgegenwärtig ist, wurde er von Historikern nur wenig untersucht. MA-Historiker sprechen häufig von karolingischen, cluniazensischen, gregorianischen Reformen usw., ohne jedoch genau zu definieren, was sie unter diesem Begriff verstehen. Außerdem verwendeten die Menschen im MA selten Wörter, die auf der Wurzel reform* basieren, und im 9. Jh. bevorzugte man es, von „Wiederherstellung“ oder vor allem von „Korrektur“ zu sprechen. Um über diese Fragen nachzudenken, wurde ein Forschungsprogramm gegründet; der Band stellt die Akten des abschließenden Kolloquiums dar, das im November 2019 organisiert wurde. Das Ziel war es, das Ausmaß der Verwendung von auf der Wurzel reform* basierenden Lemmata zu erfassen, ihre ma. Bedeutungen zu identifizieren, ihre spezifische Verwendung zu erkennen und die Kontexte zu beleuchten, in denen ma. Institutionen die Parole der reformatio beanspruchten. Es ging auch darum, die Termini der ma. „Reformen“ zu finden, ausgehend von anderen Begriffen, die als Synonyme von reformare identifiziert wurden. Anhand eines lemmatisierten Corpus von mehreren zehntausend Dokumenten zeigt Nicolas Perreaux (S. 29–73) die Notwendigkeit auf, den Gebrauch eines reformatorischen Lexikons durch die ma. Menschen von der Qualifizierung durch Historiker ab dem 18. Jh. zu unterscheiden, wenn sie Positionen und Erfahrungen beschreiben, die heute als „reformatorisch“ gelten. Seine Studien zeigen, dass die ma. „Reformatoren“ keineswegs etwas Neues einführen wollten, ohne deshalb jedoch als konservativ gelten zu können. Tatsächlich hat der Begriff „Reform“ keine chronologische Dimension; es geht nicht darum, in ein vergangenes goldenes Zeitalter zurückzukehren, sondern vielmehr darum, im Sinne des „Neu-Formens“ zu einer idealen Form (forma) zurückzukehren, die außerhalb der Zeit liegt, eine stabile Form (pax), die mit dem göttlichen Plan im Einklang steht. Einige der elf Artikel versammeln Studien zur historischen Semantik und zeigen die Verbreitung des reformatorischen Vokabulars im 13. Jh. vom Süden Europas (Aragón und Südfrankreich) nach Nordeuropa (Nordfrankreich, England). Die reformatio konnte sehr unterschiedliche Formen annehmen, etwa das Konzilsverfahren gegen Eugen IV. in den Jahren 1437–1439, das ihn beschuldigte, „antireformatorisch“ zu handeln (Emilie Rosenblieh, S. 125–139), während die italienischen Kommunen des 13. und 14. Jh. dem Begriff Reformation eine friedliche Bedeutung gaben, die oft an die der pax gebunden war (Carole Mabboux, S. 141–154). Andere Artikel verfolgen einen eher statistischen Ansatz, um den spezifisch ma. Sprachgebrauch zu vermessen. Im Kastilien des 13./14. Jh. nahm der Komplex die Form eines Vokabulars der „Verbesserung“ und der „Wiederherstellung“ an, das nicht von einem religiösen, sondern eher von einem wissenschaftlichen und rechtlichen Wortgebrauch inspiriert war (François Foronda, S. 181–208). Der gründliche Vergleich von Quellen aus verschiedenen Königreichen zeigt, dass das Wort „Reform“ im MA nicht existierte. Erst ab dem 12./13. Jh. verbreitete sich der Gebrauch eines spezifisch ma. Wortfelds der Reform (corrigere, emendare, renovare). Die Studien zeigen, dass die reformatio nicht dort zu finden ist, wo man sie erwarten könnte: weder in den „reformistischen“ Generalständen von 1355–1358 in Frankreich (Gaëtan Bonnot, S. 237–252) noch in der englischen Magna Carta (Aude Mairey, S. 253–273), und auch nicht zur Zeit der „Reichsreform“ in Deutschland (Gisela Naegle, S. 277–293). Das bedeutet jedoch nicht, dass alle Historiker anachronistisch handeln würden, wenn sie von „Reform“ sprechen, sondern es unterstreicht die Notwendigkeit, die Polysemie dieses Begriffs zu berücksichtigen und nicht ein Konzept zu schaffen, das seinen Gegenstand festschreibt (wie es im Fall der „gregorianischen Reform“ geschehen ist). Um nicht in die Falle dieses Begriffs „Reform“ zu tappen, muss man im Gedächtnis behalten, dass es sich in erster Linie um ein heuristisches Paradigma handelt, ein nützliches Konzept für den Historiker, um über die Brüche und Neuordnungen ma. Gesellschaften nachzudenken.
Tristan Martine