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Rudolf Bergmann, Wüstungen in Westfalen (Siedlung und Landschaft in Westfalen 44) Münster 2024, Aschendorff Verlag, 314 S., 121 Abb., ISBN 978-3-402-14838-9, EUR 19,90. – Überblicksartige Darstellungen zum Thema Wüstungen, die die Gesamtheit der bisher bekannten Ortschaften berücksichtigen und in Katalogform alle zugehörigen Informationen liefern, fehlten bisher für den westfälischen Raum. Mit insgesamt weit über 1000 nachweisbaren Orts-, Burg- und Hofwüstungen ist Westfalen eine der am stärksten von diesem Entsiedlungsphänomen betroffenen Regionen Mitteleuropas. Als Wüstungsursachen gelten heute ganz verschiedene Phänomene: Der Verlauf der Agrarkonjunktur in Westfalen und das Anziehen der Getreidepreise bei gleichzeitiger Bevölkerungszunahme in dem Zeitraum zwischen dem 11. und der ersten Hälfte des 14. Jh. wirkten sich verheerend auf die agrarisch ausgerichtete ländliche Besiedlung aus. Einen großen Einfluss auf die Wüstungsprozesse hatte zudem das Fehdewesen, das auf dem Land unsichere Rechtszustände verursachte, was in den Quellen als wesentlicher Auslöser der Entsiedlung benannt wird. Aber auch starke klimatische Ereignisse, Epidemien und letztlich Hungersnöte spielten in den Wüstungsprozessen eine große Rolle. Der erste Teil der Publikation führt mit ausführlichen methodischen Erklärungen in die Thematik ein. Die Beschäftigung mit dem Thema Wüstung war zunächst nur ein Arbeitsfeld der Historiker; seit den 1980er Jahren – mit dem Inkrafttreten des Denkmalschutzgesetzes – hat die Siedlungsforschung eine archäologische Konnotation erhalten, die bis heute anhält. In ihrer modernen Ausprägung basiert die Wüstungsforschung vor allem auf interdisziplinärer Arbeit und berücksichtigt Beiträge der Geschichte, der Geographie und der Archäologie. Die historische Quellenarbeit ermöglicht es, bestimmte durch Feldbegehungen erkannte Siedlungsreste mit wüstungsweisenden Flurnamen zu verbinden und mit historischen Informationen zu verknüpfen. Anhand von Geländebegehungen ist es möglich, innerhalb eines Gebiets alle in den historischen Quellen überlieferten Ortswüstungen zu erfassen, Raumeinheiten zuzuweisen und grob zu lokalisieren. Anschließend erfolgen eine Auswertung der wüstungsweisenden Flurnamen im Kartenmaterial und eine raumbezogene Kartierung dieser Wüstungsnamen. Weitere Erkenntnisquellen bietet die Luftbildarchäologie. Eine immer größer werdende Rolle spielen moderne, zerstörungsfreie Methoden, wie der 3D-Laserscan, der zur Herstellung von 3D-Geländemodellen führt, sowie geomagnetische Prospektionen und Bodenradarmessungen. Untersuchungen des archäologischen Fundmaterials geben zudem wichtige Hinweise für die zeitliche Einordnung der einzelnen Fundstellen. Nach dem einführenden Teil ist das Buch als Katalog aller bisher identifizierten und lokalisierten Wüstungen aufgebaut, der nach den Kreisen der südöstlichen Hälfte Westfalens gegliedert ist (Kreise Minden-Lübbecke, Lippe, Höxter, Paderborn, Soest, Hochsauerlandkreis, Olpe und Siegen-Wittgenstein). Der Katalog listet die Wüstungen durchgängig nach demselben Schema auf: Beginnend mit Angaben zur geographischen Lage und Typisierung des Wüstungsobjekts nach einschlägigen Merkmalen wird zunächst eine Zuordnung zu Stadt-, Dorf- oder Hofwüstung und generell zu Ortswüstung vorgenommen. Es folgt dann die historische Identifikation und die Ersterwähnung, die anhand der aufgearbeiteten Quellenüberlieferung des westfälischen Ortsnamenbuchs erfolgt. Die Verknüpfung des archäologisch prospektierten Fundorts mit der Quellenüberlieferung geschieht anhand der Auswertung des Flurnamenbestands. Auf Grundlage archäologischer Quellen und der Angaben zum Fundmaterial können dann Informationen zur Datierung des Fundorts und zur Dauer seines Bestehens gewonnen werden. Unter dem Punkt Literatur werden alle veröffentlichten Studien zu den einzelnen Orten angeführt. Die in dem jeweiligen Kreis erfassten Fundorte werden in einer detaillierten Verbreitungskarte aufgeführt. Die Legende und die reichlich differenzierten Bezeichnungen ermöglichen es, Hinweise auf die Grundcharakteristika der einzelnen Relikte zu gewinnen. Den nach Kreisen aufgeteilten Wüstungslisten ist ein kurzer Einleitungstext vorangestellt, der auf Einzelheiten des Wüstungsgeschehens im jeweiligen Kreis eingeht. Obwohl die Publikation eingehendere Einzelstudien zu den verschiedenen Ortschaften sicherlich nicht ersetzen kann, besteht ihr Hauptverdienst darin, nicht nur alle bisher in unterschiedlichem Grad bekannten Wüstungen zeitlich und räumlich einzuordnen, sondern auch erstmalig und umfassend eine wichtige Grundlage für die Rekonstruktion der kleinräumlichen Siedlungsgeschichte eines großen Untersuchungsgebiets vorzustellen.

Sveva Gai