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Digitale Vorab-Veröffentlichung der Rezension aus DA 81,1 (2025) *.

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Alexander William Salter / Andrew T. Young, The Medieval Constitution of Liberty. Political Foundations of Liberalism in the West, Ann Arbor 2023, Univ. of Michigan Press, XIII u. 295 S., ISBN 978-0-472-07601-7 (hardcover), USD 80; 978-0-472-05601-9 (paperback), USD 34,95; 978-0-472-90335-1 (open access ebook). – Die zwei Vf., beide sind Professoren für Ökonomie, fragen nach den Gründen für die erstaunliche wirtschaftliche Prosperität der westlichen Welt seit dem 18. Jh. und finden die Antwort in der ma. Verfassung im Sinne einer Ordnung menschlichen Zusammenlebens. Im ersten Teil nehmen S. / Y. die ma. Thing- und Reichsversammlungen sowie die Gottesfrieden als Formen innergesellschaftlicher Kooperation und Organisation in den Blick. Der zweite Teil behandelt die Partizipation an rechtlicher Konfliktlösung und politischer Entscheidungsfindung, die auf verschiedenen Ebenen zu beobachten ist. Für diese spezifischen Formen der Teilhabe haben S. / Y. den Ausdruck „polycentric sovereignity“ geprägt (S. 112–135). Der dritte Teil widmet sich konzentriert den Thing- und Ständeversammlungen sowie der städtischen Autonomie. Im vierten Teil geht es um die Staatsbildung, die Aufgabe der guten Regierung und die Gefahr der Überregulierung und staatlichen Übergriffigkeit. Im Ergebnis sehen S. / Y. die Entstehungsbedingungen für den Wohlstand der westlichen Welt in der ma. Praxis innergesellschaftlicher Kooperation und politischer Partizipation. Es kommt sicher nicht häufig vor, dass zwei texanische Wirtschaftswissenschaftler über ma. europäische Verfassungsgeschichte schreiben. So gehört die Arbeit an den Primärquellen, wie die Vf. freimütig bekennen, nicht zu den starken Seiten dieses Buchs. Auf der anderen Seite hat der unbefangene Blick der beiden Gelehrten auf die Entstehungsbedingungen der westlichen Prosperität zu einer anregenden und bedenkenswerten Studie geführt. Empirisch ist mittlerweile nachweisbar, dass die Teilhabe an politischen Entscheidungsprozessen sowie die Anerkennung von subjektiven Rechten (modern gesprochen: die Existenz einer rechtsstaatlichen Ordnung) wirtschaftliche Produktivität und technische Innovationen fördern. Wohlstand hängt zudem davon ab, inwieweit eine Regierung innere Sicherheit gewährleistet und für eine Infrastruktur sorgt. Allerdings hätten auch weitere Besonderheiten, die für die westliche Welt prägend waren und auf das MA zurückzuführen sind, in die Betrachtung einbezogen werden können. Beispielsweise hat der Wiener Wirtschaftshistoriker Michael Mitterauer in seinem Buch Warum Europa? (2003, vgl. DA 59, 348f.) einerseits die Kooperation in Thinggenossenschaften und Grundherrschaften sowie auf Hoftagen genannt, aber auch an folgende Merkmale der westlichen Welt erinnert: die Trennung von spiritueller und weltlicher Gewalt, das Christentum als Gemeindereligion, das eine Ausbildung junger Menschen außerhalb der Familie erlaubte und damit den Erwerb neuer Fähigkeiten förderte, sowie die klimatischen Bedingungen, die den Einsatz von Wassermühlen für die gewerbliche Produktion ermöglichten. Das schmälert aber nicht den Wert dieses Buchs. Es verdient vielmehr Respekt, dass S. / Y. an die ma. Verfassungspraxis als zentrale Wurzel für die Entstehung des Rechtsstaats, der Demokratie und des Wohlstands in der westlichen Welt erinnern. Überall ist MA! Horst Fuhrmann hätte das nicht überrascht.

Steffen Schlinker