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Digitale Vorab-Veröffentlichung der Rezension aus DA 81,1 (2025) *.

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Marta Camellini, L’identità normanna. Narrazione e politica tra X e XII secolo (I libri di Viella 475) Roma 2024, Viella, 310 S., ISBN 979-12-5469-533-3, EUR 34. – In den letzten Jahren ist viel über die zeitgenössische Geschichtsschreibung der Normannen geschrieben worden, daher betritt dieses neue Buch ein durchaus überfülltes Gebiet. Dennoch handelt es sich, obwohl der Umfang relativ begrenzt ist, um eine gelungene wissenschaftliche Studie. C.s Interesse gilt dem, was sie die „offizielle“ Geschichtsschreibung der Normannen nennt: Das sind jene Werke, die von ihren Herrschern in Auftrag gegeben wurden, also die Geschichte des Dudo von St-Quentin, die Gesta Normannorum ducum von Wilhelm von Jumièges und seinen Nachfolgern und im späteren 12. Jh. die volkssprachlichen Werke von Wace und Benoît von Sainte-Maure. Einige Kapitel analysieren, wie diese Autoren den Wikingerführer Hasting und die ersten drei Herzöge porträtierten, andere sind thematisch und behandeln Fragen wie die Ursprünge der Normannen, die für sie verwendete Terminologie und die Legitimationsstrategien. Doch die Struktur ist in elf der zwölf Kapitel dieselbe: eine ausführliche Analyse von Dudos Text, gefolgt von einer kürzeren Diskussion darüber, wie spätere Autoren dasselbe Thema behandelten, jedoch mit unterschiedlichen Schwerpunkten und manchmal mit erheblichen Änderungen gegenüber ihrer ursprünglichen Quelle. So strich Wilhelm von Jumièges Dudos Verwendung der Aeneis in seinem Bericht über Rollo, den ersten Herzog, und überarbeitete die halbhagiographische Darstellung Wilhelm Langschwerts durch seinen Vorgänger. Und im späteren 12. Jh. war das Anliegen, die Dynastie zu legitimieren, das Dudo und in geringerem, aber dennoch spürbarem Maß Wilhelm von Jumièges motivierte, nicht mehr relevant. Der wirkliche Schwerpunkt liegt jedoch durchgehend auf der ursprünglichen Geschichte Dudos. Das letzte Kapitel über die sogenannten „inoffiziellen“ Berichte über die normannische Geschichte ist relativ oberflächlich, insbesondere der sehr kurze Abschnitt über die Normandie aus der Sicht der Chronisten des normannischen Italien. Mit gutem Grund weist die Vf. darauf hin, dass Wilhelms von Malmesbury Darstellung der frühen Geschichte der Normannen viel weniger rhetorisch und wahrscheinlich realistischer ist als die der offiziell beauftragten Autoren. C.s Argumente sind größtenteils überzeugend, obwohl man ein paar Kleinigkeiten monieren könnte. Während es angemessen sein mag, Orderics Ergänzungen zu den Gesta Normannorum ducum als Teil der „offiziellen Tradition“ zu betrachten, selbst wenn diese kaum vom herzoglichen Hof in Auftrag gegeben wurden, kann man das sicherlich nicht von seiner späteren Historia ecclesiastica sagen, auf die sich die Vf. häufig bezieht. Auch ihr Vergleich zwischen Dudos Darstellung von Hasting in Buch 1 seiner Geschichte und der von Ganelon im Chanson de Roland hat mich nicht überzeugt. Und die Relevanz der Arbeit Geoffreys von Monmouth, die im letzten Kapitel diskutiert wird, scheint bestenfalls dürftig. Dennoch handelt es sich größtenteils um ein ausgezeichnetes Buch, das auf einer sehr umfassenden Lektüre und einer sorgfältigen Analyse der Haupttexte basiert. Für den englischsprachigen Leser dürfte das Buch nicht viele Überraschungen bereithalten, da ein Großteil der einschlägigen Literatur zu diesem Thema auf Englisch ist. C. hat diese jedoch sehr effektiv genutzt, und italienische Leser, von denen viele möglicherweise keinen Zugang zu dieser Forschung haben, werden das Buch zweifellos aufschlussreich finden.

G. A. Loud