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Digitale Vorab-Veröffentlichung der Rezension aus DA 81,1 (2025) *.

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Karin Eckstein, Der Jüngere Titurel der Bayerischen Staatsbibliothek, Cgm 8470. Studien zu Materialität, Inhalt und Gebrauch einer illuminierten Epenhandschrift des Spätmittelalters (Neue Forschungen zur deutschen Kunst 14 – Bayerische Staatsbibl. Schriftenreihe 12) Berlin 2023, Deutscher Verlag für Kunstwissenschaft, 619 S., zahlreiche Abb., ISBN 978-3-87157-262-3, EUR 99. – Der erste Teil der Arbeit (S. 11–149) ist im Wesentlichen der Kodikologie, dem Inhalt, der Ausstattung und dem Stil der reich illuminierten, um 1430 datierten Epenhs. gewidmet. Zu Beginn werden neben der paläographischen Einordnung (S. 18) der im Kern ma., im 17. Jh. „restaurierte“ Einband (S. 21–23) und die beigebundenen, kunsthistorisch bedeutenden Fragmente (S. 23–27) behandelt. Besonderes Augenmerk wird in der Folge naturgemäß auf die Beschreibung der Ausstattung des Codex (S. 43–125) gelegt, wobei der Fehlbestand von 20 der ehemals 105 Miniaturen in ihrer Position im Text und im Darstellungsinhalt überzeugend rekonstruiert wird. Etwas überfordernd erscheinen in diesem Kontext lediglich die sehr detaillierten Bildbeschreibungen (S. 53–107). Unerlässlich für die stilistische Beurteilung der Miniaturen sind dagegen die Untersuchung der Farbanweisungen (S. 118f.) und die exakte Analyse der späteren Übermalungen (S. 122–125), die in das 17. Jh. datiert werden. Erwartungsgemäß herausfordernd gestalteten sich die Ausführungen zur Händescheidung und stilistischen Einordnung (S. 126–148). Zur stilistischen Klassifikation dieses solitären Werks der Buchmalerei (S. 149) haben sich – wie beim Forschungsstand (S. 32–42) anschaulich dargelegt – schon zahlreiche Kunsthistoriker geäußert. Mit unterschiedlicher Gewichtung wurden verschiedene Vorbilder und Einflusssphären definiert, die von Innerösterreich (Wien) über Tirol/Südtirol, Böhmen, Salzburg und Regensburg reichen, vor allem aber Oberitalien als wesentliche Quelle für die Stilbildung und die Motivauswahl anführen. Lässt die Vf. die Frage der Händescheidung seriöserweise offen, so favorisiert sie hinsichtlich des Entstehungsorts konkret die „Südtirol-These“, die in einer weit ausholenden Argumentation untermauert wird. In dieser Kunstlandschaft sieht die Vf. die Voraussetzungen für die Entstehung der Ausstattung am ehesten erfüllt, ohne dass eine relevante Werkstatt oder ein unmittelbar vergleichbares Werk angeführt werden könnte. Der zweite Teil der Ausführungen (S. 151–434) ist dem Gebrauch des Jüngeren Titurel gewidmet und stellt seine Funktion als Stamm- bzw. Gästebuch (16./17. Jh.) in den Mittelpunkt. Die zahlreichen Einträge – weitere „Beigaben“ (Graphiken?) sind nur mehr in Spuren erhalten – werden erstmals in ihrer Gesamtheit transkribiert (S. 153–199); den identifizierten Personen werden Kurzbiographien zugeordnet (S. 283–329). Eingebunden wird diese Bestandsaufnahme, die für zahlreiche Erkenntnisse zur Typologie von Stammbucheinträgen und der Besitzgeschichte genutzt wird, u.a. durch eine Darstellung der religionspolitischen Situation im Erzherzogtum Österreich (S. 219–227). Das letzte Kapitel ist schließlich der Einordnung des als Gästebuch genutzten Jüngeren Titurel in die Stammbuchtradition der Zeit (S. 244–264) gewidmet, inklusive prosopographischer Erkenntnisse zu dem involvierten Personenkreis. Die durch Eintragungen nahegelegte Identifikation der späteren Besitzer bzw. Beiträger mit den Protagonisten des Epos belegt eine bewusste Identifizierung mit den darin verbreiteten Inhalten und Idealen. – Interdisziplinarität und solide Grundlagenforschung zeichnen die thematisch weit gefasste, kenntnisreich angelegte Publikation aus.

Andreas Fingernagel