Petra Schulte (Hg.), Geld und Arbeit. Nikolaus von Kues und das ökonomische Denken im 15. Jahrhundert, unter Mitarbeit von Alexandra Geissler (Zeitenwende. Mitteilungen und Forschungsbeiträge der Cusanus-Gesellschaft N.F. 1) Köln 2024, Böhlau, 374 S., ISBN 978-3-412-52724-2, EUR 60. – Die Thematik Geld und Arbeit bei Cusanus mag zunächst nicht völlig überraschen, da dem Sohn eines Kaufmanns – dessen Integration in die gehobenen Kreise von Kues Marco Brösch (S. 67–111) skizziert – oft kaufmännisches Denken mit Sinn für Profit nachgesagt wurde. Darauf geht aber nur ein Beitrag näher ein, Thomas Woelki (S. 135–159), der in der praktischen Verwaltung der Finanzen des Bistums Brixen keine Zäsur zu des Cusanus Vorgänger erkennen kann. Nur eine neue Sparsamkeit ist in Brixen mit ihm eingezogen. Bürokratisierung oder Professionalisierung der Verwaltung sind nur sehr eingeschränkt festzustellen. In einer ebenfalls im Band abgedruckten Preisschrift stellt W. (S. 301–372) Neuerungen in der Lehenspolitik des Cusanus mit aggressiven und konfliktträchtigen Restitutionsforderungen dar, die indessen nicht auf die Verbesserung der Bistumsfinanzen abzielten, sondern der Anerkennung der bischöflichen Lehenshoheit im gesamten Bistum galten. Claudia Märtl (S. 113–134) und Viki Ranff (S. 161–180) untersuchen die Bedeutung von Geld im Predigtwerk. Zunächst sind die Aussagen topisch, dann entwickelt sich aber eine theologische Münzmetaphorik, die an die Antwort Jesu auf die Fangfrage der Pharisäer anknüpfen kann: Das Bild auf der Münze zeigt den Kaiser, so gebt dem Kaiser, was des Kaisers ist. Gott als Münzmeister prägt die Münze Mensch, den Mann in Gold (Gulden), die Frau in Silber (Denar). Das menschliche Leben entspricht dem Lebenszyklus einer Münze, deren Abnutzung und Verschmutzung durch das Bad der Tränen und der Reue aufpoliert werden. Im Alltag war Geld für Cusanus prinzipiell positiv. Es ermöglicht den Austausch unter Menschen und sichert ihre Lebensgrundlagen. Isabelle Mandrella (S. 181–192) und Christian Rode (S. 193–209) wenden sich der durch Überlegungen zum Geld entwickelten Werttheorie von Cusanus zu, die er vor allem in der Schrift De ludo globi ausführte. Wert, ein von Gott stammendes wirklich Seiendes (ens reale), könnte ohne seine Erkenntnis durch den menschlichen Intellekt nicht bestehen. Hans Gerhard Senger (S. 211–226) weist darauf hin, dass die Kueser Bibliothek in der Sparte Ökonomie nur eine schmale Hs. mit Abhandlungen über das Münzwesen enthalte, dass Cusanus zur Thematik weder kanonistische Quellen noch Schriften des 13. oder 14. Jh. benutzte und von der historischen Entwicklung der Ökonomie des Geldes also offensichtlich keine Notiz nahm. Oresme scheint er nicht einmal gekannt zu haben. Es gebe bei Nikolaus keine philosophia und keine scientia pecuniae. Nach der These von Christian Kny (S. 227–242) diagnostizieren Cusanus und Marx auf strukturell ähnliche Weise Fehlformen von Arbeit, die menschliche Selbstverwirklichung verhindern. Für Cusanus ist dies Arbeit, die nicht die Ausrichtung auf Gott ermöglicht, bei Marx ist es entfremdende Arbeit. Beide verhindern menschliche Selbstverwirklichung. Martin Thurner (S. 243–256) erkennt im Bauerngleichnis der Schrift De dato patris luminum von 1446 eine cusanische Philosophie der Arbeit. Der Bauer bestellt den Acker mit dem Erfahrungswissen seiner Fruchtbarkeit. Erfahrungswissen wird vom Bauern geglaubt, wie religiöse Dogmen geglaubt werden. Intellektuelles Denken ist zurückzuführen auf einen immanenten Glaubensakt. Econo-political theory nennt Cary J. Nederman (S. 257–275) die Verbindung von politischer Theorie und Ökonomik. Er handelt die Körper- oder Leibmetapher in verschiedenen Strömungen medizinischer Wissenschaft ab: Platonismus, Aristotelismus, Galenismus. Cusanus hatte großes Interesse an Medizin. Er besaß viele Hss. dazu, überwiegend Galen und Hippokrates. Ausführlich und ganz im Rahmen von Galens Physiologie führt Cusanus die Körpermetapher gegen Schluss der Concordantia catholica aus (3, 580–494). Gott ist der Geist, dank der Gnade mit dem Körper der Gläubigen durch die von den Priestern gespendeten Sakramente verbunden. Die gleiche Seele ist im Fuß wie im Haupt und im Herz. Der lebensspendende Geist strömt durch den ganzen Körper vom päpstlichen Haupt zu den Patriarchen als den Ohren und Augen, den Erzbischöfen als den Armen, den Bischöfen als den Fingern bis hinunter zu den Füßen, den Bauern. Der Aufbau der kirchlichen Ämter entspricht der Ordnung der sozio-ökonomischen Funktionen. Das durch den Körper fließende Blut steht für die Gebote Gottes, welche durch die Priester den Laien vermittelt werden, um Einigkeit und Seelenheil zu erlangen. Kein Glied, weder Haupt noch Fuß oder dazwischen, ist von der Zirkulation nicht erfasst. Das System der Blutgefäße, welche von der Leber aus den ganzen Körper durchziehen, entspricht den kanonischen Rechten im Körper des kirchlichen Gemeinwesens, die vom Konzil angenommen werden. Kein Priester und auch nicht der Papst steht außerhalb des Kirchenkörpers über den kanonischen Sanktionen oder ist davon exemt. Ulli Roth (S. 279–295) wendet sich in der Cusanus Lecture 2021 dem Johannes von Segovia zu, der dem konziliaren Gedanken verpflichtet blieb, nachdem sich Cusanus längst auf die Seite Eugens IV. und des Papsttums geschlagen hatte. Segovia suchte das Gespräch mit dem Islam und ließ sich dafür eine bessere Übersetzung des Korans herstellen, wobei er diesen durchaus als Buch eines vom Teufel irregeleiteten falschen Propheten Mohammed einschätzte, dessen Glaubwürdigkeit jedoch im Gespräch und nicht durch einen Kreuzzug zerstört werden müsse. In der Auseinandersetzung mit den Hussiten sah er in den Prager Kompaktaten den Modellfall einer Versöhnung. Versöhnlich erschienen auch die Verhandlungen mit den Griechen, die aber erst in Florenz mit der Union abgeschlossen wurden. Papst Eugen IV. blieb für Segovia ein häretisch gewordenes Werkzeug des Teufels. Am Apostelkonzil habe sich hingegen Petrus der allgemeinen Meinung angeschlossen und diese umgesetzt. Nur das Konzil sei die Summe und der Ausdruck der von Christus geschenkten kirchlichen Unfehlbarkeit. An der Entstehung des Dekrets De neophytis von 1434 war Segovia beteiligt, das den jüdischen Konversen in einzelnen Fragen erstaunlich weit entgegenkam, ihnen nicht nur Besitz garantierte, sondern städtisches Bürgerrecht vorsah und gemischte Ehen mit altchristlichen Familien empfahl. Der Text hat lange eine Rolle gespielt bei der Bekämpfung der 1449 in Toledo gegebenen Statuten zur „limpieza de sangre“. Das Bild, das der Band von der Bedeutung von Geld und Arbeit bei Cusanus darbietet, erscheint dem Rez. verwirrend. Das ökonomische Denken im 15. Jh. wird kaum im Ansatz fassbar. In der Verwaltung des Bistums Brixen ist eine persönliche Handschrift von Cusanus nicht klar erkennbar. Die Ausführungen zu seinen Bemühungen zur Steigerung und Sicherung des persönlichen Einkommens bleiben punktuell. An wissenschaftlichen Schriften zum Geld, an einer eigentlichen Geldtheorie zeigte er kein Interesse. In seiner Wirtschaftsethik bewegte er sich auf gängigen aristotelisch-thomistischen Pfaden. Eigenständig entwickelte er seine rein theologische Münzmetaphorik und die im Unterschied zu Johannes von Salisbury galenische Körpermetapher. Im Bauerngleichnis interessierte er sich gar nicht für die praktische Arbeit, sondern für das Verhältnis von Intellekt und Glauben. Es mag dem Rez. eine persönliche Einschätzung erlaubt sein: Johannes von Segovia war gewiss kein so überragender Denker wie Cusanus, aber er war der vollkommenere Mensch.
Hans-Jörg Gilomen