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A Companion to the Waldenses in the Middle Ages, ed. by Marina Benedetti / Euan Cameron (Brill’s Companions to the Christian Tradition 103) Leiden / Boston 2022, Brill, XV u. 559 S., 13 Karten, ISBN 978-90-04-41088-6, EUR 199. – In den letzten Jahrzehnten hat die Erforschung des ma. Waldensertums eine bemerkenswerte Entwicklung durchlaufen, die durch den vorliegenden Band abgebildet und international zugänglich gemacht wird. Die von Grado Giovanni Merlo hervorgehobene Uneinheitlichkeit der verschiedenen ma. „Waldensertümer“ (valdismi) ist für die Anlage des Buchs grundlegend. Wie es den Gepflogenheiten der Brill’s Companions entspricht, wird das Thema nicht monographisch, sondern durch Aufsätze erschlossen, die anerkannten Spezialisten anvertraut sind. In diesem Fall handelt es sich um 22 Essays. Die ersten 13 behandeln das waldensische Phänomen in den verschiedenen geographischen Zonen von Aragonien bis Böhmen. Es folgen weitere neun Beiträge zu thematischen Schwerpunkten wie den Wanderpredigern, der Rolle der Frauen, den Inquisitionsprozessen, dem Verhältnis von Waldensertum und „Hexerei“, den „Waldenserhss.“ des frühen 16. Jh. und der frühmodernen Geschichtsschreibung über die Waldenser. In diesen letzteren Themenbereich ist auch Euan Camerons (S. 479–496) Beitrag über die Waldenser in Kalabrien und Apulien eingeordnet, vermutlich weil diese Thematik von der Geschichtsschreibung des 17. Jh. her entwickelt werden muss. Als Epochengrenze wird generell die Mitte des 16. Jh. angewandt, da in dieser Phase das noch bestehende Waldensertum sich der Reformation anschloss und Gegenstand einer Verfolgung wurde, die im frühmodernen Bezugsrahmen der Konfessionalisierung zu deuten ist: 1545 im Luberon, 1560/61 in Kalabrien und den Tälern der Cottischen Alpen, wo aber die Transformation in die „Reformierte Kirche der Täler“ gelang. Es entspricht dem laizistischen Ansatz von Merlo, dass theologiegeschichtliche Fragen kaum behandelt werden. In der Tat ist Mithg. C. der einzige beteiligte Fachtheologe. Dennoch bietet der Band theologie- und geistesgeschichtlich interessante Impulse. Grado Giovanni Merlo (S. 225–241) selbst fügt in seinen Beitrag über die Waldenser im Piemont Beobachtungen zum Entstehen einer Selbstdeutung als authentisch apostolische Bewegung ein (S. 233), die in italienischer Sprache seit langem zugänglich sind. In der waldensischen Ablehnung sakramentaler Auffassungen, des Fegefeuers und der Heiligenverehrung erkennt er einen „‘popular’ rationalism“ mit desakralisierender Wirkung (S. 236). Marina Benedetti (S. 317–331) umschreibt die aus Prozessen des späten 15. Jh. und den „Waldenserhss.“ erkennbare Spiritualität als die einer auf ländlicher Ökonomie basierenden Welt und eines in den evangelischen Traditionen wurzelnden religiösen Lebens (S. 326). Dass das Waldensertum der Zeit um 1400 in Städten wie Straßburg oder Freiburg damit nicht identisch gewesen ist, muss nicht hervorgehoben werden. Kritisch ließe sich anmerken, dass bei der Deutung des Waldes von Lyon die gegensätzlichen Auffassungen von Merlo (S. 11–32) und Peter Biller (S. 422–444, hier S. 422–425) unvermittelt nebeneinander stehenbleiben. Solche „scholarly diversity“ ist schon im Vorwort angekündigt (S. 3). Dennoch wäre es hilfreich gewesen, wenn die methodologischen Voraussetzungen und Konsequenzen beider Ansätze explizit kommuniziert worden wären. Ferner ist der deutsche und mittelosteuropäische Raum zwar unter den geographisch ausgerichteten Beiträgen angemessen behandelt, in den thematischen Querschnitten aber unterrepräsentiert, sieht man von Billers (S. 354–392) Essay zu den Inquisitionsprozessen ab. Dem entspricht in gewisser Hinsicht das Fehlen von Verweisen auf Wolf-Friedrich Schäufeles Studie von 2006 (vgl. DA 63, 754f.). In dieser Arbeit nehmen waldensische Quellen einen prominenten Platz ein. Auch der von Francesca Tasca herausgegebene Band zum Gespräch von Bergamo (2020, vgl. DA 78, 811–813) hätte Erwähnung verdient gehabt, gerade weil der vorzustellende Band in den nächsten Jahren ein Referenzwerk zum religiösen Dissens im MA darstellen wird. In italienischer Sprache ist inzwischen eine weitere, ebenfalls von Tasca herausgegebene Gesamtdarstellung des ma. Waldensertums erschienen: Storia dei valdesi 1: Come nuovi apostoli (secc. XII–XV), 2024.

Lothar Vogel