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Digitale Vorab-Veröffentlichung der Rezension aus DA 80,2 (2024) *.

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Enrico Veneziani, The Papacy and Ecclesiology of Honorius II (1124–1130). Church Governance after the Concordat of Worms (Studies in the History of Medieval Religion 53) Woodbridge 2023, Boydell and Brewer, 340 S., 5 Abb., ISBN 978-1-83765-040-8, GBP 85. – Honorius II. – ein farbloser Papst? Dieser Frage begegnet V. mit energischem Widerspruch. Er löst den Pontifikat des vormaligen Kardinalbischofs Lambert von Ostia aus dem papsthistorischen Schatten, den der vorgängige Streit der römischen Bischöfe mit dem Kaisertum auf der einen und das Schisma der Jahre 1130–1138 auf der anderen Seite werfen. Der Vf. zeichnet insgesamt vor allem anhand der Urkunden den Handlungswillen des Papstes nach und ergründet dessen Verständnis von der Herrschaftsstruktur der Kirche. Im ersten der vier Hauptkapitel weist V. darauf hin, dass allgemeine Entwicklungen des Rechts wie der Anspruch, für alle Christen als Appellationsinstanz zu fungieren, sich in Vor- und Frühformen schon im Pontifikat Honorius’ II. abzeichnen. Er zeigt den Papst als ruhigen Konsolidierer der römischen Kirche und behutsamen Innovator. Das zweite Kapitel lenkt den Blick auf den Primatsanspruch, der sich etwa in dem Versuch manifestiert, die Regularkanoniker der römischen Kontrolle zu unterwerfen, mittels Legaten auch in der Ferne normierend zu wirken und durch die Pflicht zur visitatio ad limina eine enge Rombindung der Prälaten zu erzeugen. Im Zentrum des dritten Kapitels steht der Kontakt zu den weltlichen Mächten. Der Vf. nimmt an, dass Honorius auf einer Linie mit seinen Vorgängern stand und aufgrund des Rückhalts in Rom in einer prinzipiell starken Position war. Die Überlieferung ist in diesen Fragen jedoch sehr lückenhaft. Ob Honorius’ Nachfolger manipulierend in diese eingriffen, wie V. andeutet (S. 159f.), erscheint zweifelhaft. Eine Fallstudie zur Intervention des Papstes in Montecassino wirft abschließend ein bezeichnendes Licht auf den Anspruch der römischen Zentrale, die weitgehend unabhängigen Klöster ihrem Willen zu unterwerfen. Er stieß stets dann auf Widerstand, wenn die libertas der Abteien in Gefahr schien. Die sorgfältige Studie ruht auf einem soliden Fundament aus Quellen und Literatur, das einschlägige Beiträge in deutscher Sprache (etwa Studien von Claudia Zey zu den Legaten) schwächer berücksichtigt. Ein „Calendar of letters“ mit 353 erhaltenen oder erschlossenen Urkunden Honorius’ II. rundet die Monographie ab. Die Inhalte werden durch ultrakurze Regesten erschlossen, formale Rubriken ordnen die Angaben zu Datierung, Überlieferung, Empfänger usw. Einige Eigenwilligkeiten und Inkonsistenzen fallen auf, etwa dass der Asteriskus nicht wie sonst üblich erschlossene Texte bezeichnet, sondern verfälschte (normalerweise mit einem Kreuz versehene). Die Rubrik „type of document“ ist unnötig, weil dort ausschließlich Privilegien verzeichnet sind – wobei zudem unklar bleibt, ob „Privileg“ hier als formaler oder inhaltlicher Typus verstanden wird. Mal sind mehrere Regestenwerke verzeichnet (Nr. 71), mal nicht die einschlägige Edition (Nr. 114, Urkundenbuch Steinfeld Nr. 3). Insgesamt gelingt es V. eindrucksvoll, den Herrschaftswillen und das Primatsverständnis Honorius’ II. quellennah zu charakterisieren. Eigenständigkeit, Handlungsfähigkeit und Prägekraft des ehemaligen Kardinalbischofs von Ostia werden dabei mit mehr Nachdruck betont als nötig; die genaue Textanalyse spricht durchgehend für sich. Von einem „grauen Papst“ kann keine Rede sein. Eine im Text mehrfach angeschnittene Frage drängt sich allerdings deutlich auf: die nach der grauen Eminenz dahinter, nach dem Kanzler Haimerich.

Harald Müller