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Digitale Vorab-Veröffentlichung der Rezension aus DA 81,1 (2025) *.

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Ulrich Andermann, Recht, Richter und Gerichte in Ravensberg. Rechtsgeschichte einer Grafschaft (Veröffentlichungen der Historischen Kommission für Westfalen, N. F. 90 = 30. Sonderveröffentlichung des Historischen Vereins für die Grafschaft Ravensberg) Münster 2024, Aschendorff Verlag, 397 S., 58 Abb., ISBN 978-3-402-15152-5, EUR 39. – Die Rechtsgeschichte einer Grafschaft zu schreiben, ist ein lohnendes Unterfangen – können doch die juristischen „Rechtsgeschichten“ klassischen Zuschnitts zumeist gar nicht oder nur oberflächlich auf regionale Verhältnisse und Besonderheiten eingehen. Diesem Mangel will A. mit seiner rechtsgeschichtlichen Untersuchung zur Grafschaft Ravensberg in der Vormoderne abhelfen. Hinzu tritt, dass der Vf. einen anderen Zugang als den juristischen anstrebt, nämlich einen historischen. A. will also die regionalen Verhältnisse betrachten, den einzelnen Rechtsinstituten in ihrem historischen Wandel nachgehen und sie in ihrem jeweiligen historischen Kontext vorstellen. Anders als ein Rechtshistoriker möchte er auch die Rechtswirklichkeit in den Blick nehmen und nicht nur die Rechtsnormen betrachten. Selbstverständlich ist sich A. bewusst, dass er aufgrund der Fülle des Materials nicht jedes Detail der Ravensberger Rechtswirklichkeit erörtern kann. Er sieht seine Rechtsgeschichte somit als Grundlagenwerk für das kleine ostwestfälische Territorium, das zu weiteren lokalen und regionalen Untersuchungen anregen will. Dieses Vorhaben ist ihm auch gut gelungen. Nach der Darbietung des Forschungsstands gliedert sich die Studie in fünf zeitliche Abschnitte, die wiederum jeweils in ländliche und städtische Rechtswelt unterteilt sind. Die Chronologie orientiert sich an den regionalen Zäsuren Ravensbergs (1346, 1609, 1719, 1806, 1813). Hier wertet er eloquent die entsprechenden, vorwiegend gedruckten Quellen und die Literatur aus. Einige Fragen bleiben allerdings auch in A.s Rechtsgeschichte unbeantwortet und regen zu weiteren Forschungen an. So würde der Leser gern erfahren, für wen die ma. Freigerichte eigentlich zuständig waren, wer sich also an diese wandte, und wie hier die gerichtliche Praxis aussah. Das ist sicherlich ein Quellenproblem, das als solches aber nicht angesprochen wird. Obwohl vielleicht nicht genuiner Gegenstand einer Rechtsgeschichte, so fragt man sich doch, wie es mit dem außergerichtlichen Konfliktaustrag in Ravensberg bestellt war. Hier wäre ein Hinweis auf die geschichtswissenschaftliche Erkenntnis wichtig gewesen, dass der „Normalfall“ vormodernen Konfliktaustrags sicherlich außergerichtlich und nichtschriftlich erfolgte. In diesem Zusammenhang stellt sich auch die Frage nach der „Justiznutzung“. A. fokussiert zudem stark auf landesherrliche und städtische Gerichte. Hier wäre es interessant zu wissen, ob es auch andere Gerichtsbarkeiten in Ravensberg gab, etwa eine der dortigen Pfandherren. Ebenso kommen in dem Buch kaum alltagskulturelle bzw. symbolische Streitschlichtungsformen vor. Diese ließen sich aber wohl nur durch ein arbeitsintensives Studium der überlieferten Prozessakten ergründen, was für diese Rechtsgeschichte nicht zu leisten war. Die Erforschung der rechtlichen Verhältnisse in Ravensberg ist also noch nicht abgeschlossen, hat aber durch A. eine gute Grundlage und weiterführende Impulse erhalten.

Christof Spannhoff