Stephen Hewer, Beyond Exclusion in Medieval Ireland. Intersections of Ethnicity, Sex, and Society Under English Law (Medieval Identities: Socio-Cultural Spaces 10) Turnhout 2021, Brepols, 337 S., Abb., ISBN 978-2-503-59457-6, EUR 100. – Das Buch ist die überarbeitete Version der Diss. des Vf. und setzt sich mit den Fragen von Exklusion, Inklusion, Identitätsbildung und Ausbeutung im ma. Irland auseinander. Seine These lautet, dass Irland im 13. Jh. in den Gebieten, die unter englischer Kolonialherrschaft standen, eine weitaus reichere, diversere Rechtskultur hatte, als man bisher glaubte. H. stellt die Vorstellung einer Exklusion der gälischen Bevölkerung vor dem Gesetz in Frage und zeigt in sieben Kapiteln, die sich der Reihe nach mit Freiheit und Unfreiheit, dem rechtlichen Status von Frauen, Diskriminierung beim Verkauf von Ländereien, Ethnizität im Raum der Irischen See (mit Schottland und Hebriden, Wales, Isle of Man), den Auswirkungen von Ethnizität in Kriminalfällen und der Rolle der Ethnizität für die rechtliche Stellung von Klerikern beschäftigen, dass ein beträchtlicher Teil der freien Gälen sehr wohl mit dem englischen Recht zu tun hatte, das Ganze gestützt auf eine bewundernswerte, wenn auch nicht ganz vollständige Erfassung des Archivmaterials. Im Grunde versucht der Vf. hier einige Dogmen der irischen Geschichtsschreibung umzustürzen. Das tut er mit einer Begeisterung, die an narzisstischen Ikonoklasmus grenzt, aber letztlich ist er der Aufgabe nicht gewachsen. Wer sich in der Geschichte des ma. Irland auskennt oder wer nach Vergleichsmaterial für Forschungen zu anderen Gebieten Europas sucht, sollte dieses Buch mit äußerster Vorsicht benutzen, einer Vorsicht, die der Vf. nur selten walten lässt. Viel zu oft kommt es vor, dass er einen Namen nennt, um ein Argument zu stützen oder zu widerlegen, ohne sich ausreichend um (Un)Gewissheit zu bemühen: Personen werden als gälisch angenommen, wo sich aus dem Kontext ergibt, dass sie mit höherer Wahrscheinlichkeit (wenn auch nicht mit Sicherheit) englisch waren und ihnen genau deshalb der Zugang zu einem Amt oder zum Rechtsweg nicht verwehrt wurde, was der Argumentation den Boden entzieht. Beispiele sind etwa der nachweislich englische Simon Murdac, Sheriff von Dublin (S. 87), Peter Abraham, Bürgermeister von Dublin (S. 87f.), Richard Mauvoisin, der aufgrund eines Lesefehlers als „Manneisin“ erscheint und irrtümlich für einen Manx angesehen wird (S. 186), und ein „Sully“ (S. 84), dessen gälische Identität dadurch getrübt wird, dass H. seine Belege aus walisischen und englischen Quellen bezieht. Familiennamen werden anscheinend willkürlich gälifiziert. In einem Werk, das sich ausdrücklich einer „forensischen“ Lesart der Quellen verschrieben hat, beschränkt H. unerklärlicherweise seine Untersuchung der „königlichen Gerichtshöfe“ auf die Rechtsprechung nach Common Law und ignoriert andere Gerichtsbarkeiten. Immer wieder wird erkennbar, dass H. sich nicht mit der Natur seiner Quellen auseinandergesetzt hat. Wiederholt unterlässt er es, darauf hinzuweisen, dass sein Quellenmaterial nahezu ausschließlich auf Transkriptionen und/oder Zusammenfassungen des 19. Jh. basiert, die oft unvollständig oder von schlechter Qualität sind. Noch mehr verwundert es in einem Werk über die Überschneidungen von Geschlecht, Ethnizität und Recht, dass keinerlei Auseinandersetzung mit dem ausschließlich männlichen, klerikalen, englischen Kontext stattfindet, in dem die Quellen entstanden und rezipiert wurden. Genausowenig wird die Mehrsprachigkeit der Gerichtshöfe und ihrer Aufzeichnungen thematisiert, die Inkonsequenz in der Benennung der Personen, und was das alles für Auswirkungen auf die Argumentation haben könnte. Damit sollen nicht grundsätzlich alle Folgerungen H.s entwertet werden, es ist vielmehr ein Versuch, Nuancierungen in ein Werk zu bringen, dem so etwas bitter fehlt. Das Buch ist nicht leicht zu lesen. H. schreibt einen unschönen, hölzernen Stil. Der Text ist voll von Gedankensprüngen, die den Leser überfallen wie schlecht gemachte Jump Cuts in einem drittklassigen Film. Auch hätte der Text besser gegliedert und durch Zwischenüberschriften übersichtlicher gestaltet werden können. Ein Beispiel reiht sich ans andere; H. wählt nicht aus und gönnt dem Leser keine Atempause, was seiner Überzeugungskraft oft schadet. Komplexe Ideen und Methoden werden ohne Kontext und ohne ausreichende Erklärung eingeführt (z. B. „Paul Hyams’s markers of unfreedom“, S. 27). Zudem ist das Buch schlecht redigiert und voll von Druckfehlern (am schlimmsten vielleicht olla enema – statt enea –, für einen Kupferkessel auf S. 211), und das Register ist nahezu unbrauchbar. Vielleicht war es ein Versuch zu „dekolonisieren“, jedenfalls wurden die üblichen Methoden der Verzeichnung verworfen, und so sucht man vergebens nach den Personen, die im Text genannt werden: Ma. Individuen sind unter dem Vornamen aufgenommen, moderne Autoren unter dem Nachnamen. Sachen sind ungeschickt unter ein paar Lemmata zusammengedrängt oder in Personeneinträgen versteckt. So ist das ganze Buch eine verpasste Chance. H. hat interessante Fragen aufgeworfen, die für die Geschichtsschreibung zum ma. Irland von echter Bedeutung sind, ohne sie adäquat zu behandeln. Das Buch hätte viel mehr leisten können und sollen.
Paul Dryburgh (Übers. V. L.)