Stephan F. Ebert, Der Umwelt begegnen. Extremereignisse und die Verflechtung von Natur und Kultur im Frankenreich vom 8. bis 10. Jahrhundert (VSWG Beiheft 254) Stuttgart 2021, Franz Steiner Verlag, 373 S., ISBN 978-3-515-13098-1, EUR 68. – Während der Schwerpunkt der kulturwissenschaftlich ausgerichteten Forschung zu Krisen und Naturkatastrophen zunächst auf der Zeit ab dem Spät-MA lag, fehlten lange Zeit Studien für das Früh- und Hoch-MA. Der Vf. betritt daher mit seiner 2020 an der TU Darmstadt approbierten Diss. stellenweise Neuland, indem er die grundsätzlich bekannten Schriftquellen der Karolingerzeit mit archäologischen Quellen sowie mit „Archiven der Natur“ in Verbindung setzt. Er kann damit die Ansätze und Ergebnisse kürzlich erschienener Studien weiter vertiefen. Im Gegensatz zu Jean-Pierre Devroey (La nature et le roi, 2019), der sich rein auf die Zeit Karls des Großen konzentriert, und Thomas Wozniak (vgl. DA 80, 272f.), der zu Extremereignissen eher ein Handbuch mit Übersichtscharakter für die Zeit von 500 bis 1100 geschaffen hat, nimmt der Vf. die gesamte Karolinger- und frühe Ottonenzeit in den Fokus und konzentriert sich dabei auf ausgewählte Schwerpunktthemen. Das erste Hauptkapitel ist den drei gut dokumentierten Hungerkrisen von 778/79, 793/94 sowie 805/06 gewidmet. Der Vf. teilt seine Darstellung jeweils in Ausführungen zu den Rahmenbedingungen, zu den Wahrnehmungs- und Handlungsweisen sowie in eine resümierende Bewertung, gestützt auf unterschiedliche Quellentypen von Annalen über Kapitularien bis hin zu Bußbüchern. Ereignisgeschichtliche Schlaglichter wie militärische Unternehmungen oder die Pferdeseuche im Frankenreich rund um den Awarenfeldzug Karls des Großen werden kritisch miteinbezogen, ebenso klimageschichtliche Rahmenbedingungen auf der Basis des Old World Drought Atlas (OWDA), der v.a. auf dendrochronologischen Befunden basiert. Ein weiteres Hauptkapitel konzentriert sich auf die Krisenzeiten 841–845 sowie 850–853, die durch extreme Witterungsverhältnisse und Hungersnöte, aber auch durch Kriege geprägt waren. Auch dazu erörtert der Vf. kritisch und auf eine vorbildliche Quellenanalyse gestützt, inwiefern ein Zusammenspiel von anthropogenen und natürlichen Faktoren diese Krisen begünstigte. Dabei wird deutlich, dass die historischen Schriftdokumente oft deutlich nuancierter die Krisenerscheinungen wiedergeben als dendrochronologische Befunde, die etwa für die Zeit 850–853 „unauffällig“ sind (S. 191). Dies sind Erkenntnisse, die sich auch mit denen zum „Jahrtausendsommer“ von 1540 decken. Das letzte Hauptkapitel nimmt die frühe Ottonenzeit, konkret die Periode 937–942, in den Blick, die von extremen Wintern, Überschwemmungen und Hungersnöten geprägt war. Dafür scheint maßgeblich der Ausbruch des Vulkans Eldgjá (mit)verantwortlich gewesen zu sein, die erste schwere Eruption auf Island nach der wikingischen Landnahme. Der Ansatz einer „Umweltgeschichte der verarbeiteten Wirklichkeit“ (S. 67), der Konzepte von Vulnerabilität und Resilienz sowie soziologische und umwelthistorische Zugänge mit denen einer kritischen mediävistischen Quelleninterpretation verbindet, kann für weitere Forschungen gewinnbringend als Ausgangspunkt genommen werden. In jedem Fall leistet das Buch auch einen wesentlichen Beitrag, den gerade bei mediävistischen Themen oft breiten Spalt zwischen historisch-kulturwissenschaftlicher und naturwissenschaftlicher Forschung zu überwinden.
Christian Rohr