Sabine Fees, Das päpstliche Corporate Design. Quellen zur äußeren Ausstattung von Papsturkunden im hohen und späten Mittelalter (AfD Beiheft 21) Wien / Köln 2023, Böhlau, 384 S., Abb., ISBN 978-3-412-52815-7, EUR 65. – So ausführlich die päpstlichen Brief- und Urkundentypen, der Geschäftsgang und das Personal der apostolischen Kanzlei sowie die Formen der Überlieferung papaler Schriftlichkeit untersucht sind, so wenig Aufmerksamkeit hat die bisherige Forschung den Hilfsmitteln gewidmet, die im späten MA mit dem Ziel entstanden, dem Erscheinungsbild von Papsturkunden Homogenität und Kohärenz zu verleihen. Es war eben dieses Corporate Design, das Authentizität gewährleistete und somit die Attraktivität der papalen Dokumentation erhöhte. Die Marburger Diss. befasst sich mit den Inhalten, Entstehungs- und Verwendungsumständen sowie Überlieferungsverhältnissen solcher Richtlinien aus dem Zeitraum zwischen ca. 1200 und ca. 1450 und schließt damit eine beachtliche Forschungslücke im Bereich der päpstlichen Diplomatik. Nach einem kurzen einleitenden Abschnitt, der hauptsächlich auf den Forschungsstand eingeht, bietet Kapitel 2 einen Überblick über Papsturkundentypen, den Geschäftsgang und das Personal der Kanzlei. Das dritte Kapitel behandelt die Inhalte der Artes dictandi, die sich mit der Gestaltung von Papsturkunden befassen. Obwohl diese Werke in der Regel nicht von päpstlichen Skriptoren verwendet wurden, macht die Vf. aufgrund der häufigen Präsenz von Berufsnotaren an der Kurie eine gegenseitige Beeinflussung von Brieflehren und papalen litterae plausibel. Kapitel 4 widmet sich den kurialen Quellen zur Urkundengestaltung und bildet somit den eigentlichen Kern der Arbeit. Eine erste Interessenkonjunktur, die sich in der Ausprägung konkreter Gestaltungsvorgaben manifestierte, stellt die Vf. im Pontifikat Innocenz’ III. fest, auf den sowohl die berühmten Fälscherkonstitutionen als auch die Stellungnahmen zur Halbbulle und zur Verwendung von litterae tonsae zurückgehen (4.1). Die Neuerungen des frühen 13. Jh. sind jedoch nicht nur vor dem Hintergrund des persönlichen Engagements dieses Papstes zu verstehen, sondern auch als Kristallisation kurialer Vorarbeiten des 12. Jh. Die Bedeutung des Siegels als Echtheitsmerkmal von Papsturkunden belegen zwei Rundschreiben Innocenz’ IV. zum Apostelstempel, die zwar nicht als Regelaufzeichnungen zu deuten sind, jedoch Auskunft über die aus kurialer Perspektive relevanten Ausstattungsmerkmale geben (4.2.1). Regelungen zur formalen Gestaltung von päpstlichen Urkunden bzw. Bleibullen wurden in einen annähernd normativen Text erstmals im Pontifikat Gregors X. (1271–1276) aufgenommen, als im Ordo Romanus XIII Vorschriften über die Halbbulle, die dieser Papst in seiner vergleichsweise langen Periode als electus verwendete, und das Formular festgehalten wurden (4.2.2). Kapitel 4.3–4.5 behandeln eine Gruppe von Texten kurialer Herkunft, die für die praktische Tätigkeit von Skriptoren, Notaren und Prokuratoren im Rahmen der Herstellung von litterae, Privilegien und Bullen bestimmt waren. Das durch die Hs. Durrieu überlieferte Formelbuch datiert F. auf paläographischer Basis in die Mitte des 13. Jh. und interpretiert es, mit Peter Herde, als ein Hilfsmittel für die Kontrollinstanzen der Kanzlei (4.3.1). Die im Speculum iudiciale des Guillelmus Duranti enthaltenen Ausstattungsvorschriften, die auf die Bedürfnisse der Skriptoren zugeschnitten sind, legen das Hauptaugenmerk auf die Unterschiede zwischen litterae und Privilegien und lassen eine Entstehung in den Jahren Clemens’ IV. vermuten (4.3.2 und 4.4.1). Die neue Redaktion des Formularium audientiae bringt die Vf. mit der Neustrukturierung der apostolischen Kanzlei zu Beginn des 14. Jh. in Verbindung, die unter anderem eine schärfere Trennung der Bearbeitungs- und Expeditionswege von Justiz- und Gnadenbriefen umfasste (4.3.3). Im Hinblick auf eine weitere, durch den Codex Rossianus 476 überlieferte Fassung desselben Formelbuchs wird eine Bearbeitung nach der Rückkehr der Kurie nach Rom nach 1370 plausibel gemacht (4.3.4 und 4.4.5). Die von Nikolaus III. zu Beginn seines Pontifikats erlassene Kanzleiordnung ist in drei verschiedenen Strängen überliefert: in einigen Hss. des Formularium audientiae, in solchen des Pseudo-Marinus von Eboli sowie im unter Clemens VI. entstandenen Liber cancellariae I (4.4.2). Ein weiterer wichtiger Regeltext ist die sogenannte Forma scribendi privilegium, die wohl erst zwischen 1312 und 1321 entstand und sowohl durch die Hs. überliefert ist, die auch das Provinciale enthält, als auch als Teil des 1380 angelegten Liber cancellariae II auf uns gekommen ist (4.4.3). Auf Basis der in den erwähnten Texten enthaltenen An- und Vorgaben rekonstruiert F. detailliert die inhaltliche Entwicklung der Gestaltungsregeln der einzelnen Urkundentypen in Bezug auf Layout, Protokoll, Schrift, Unterfertigungen, Datierung, Vermerke und Bullierung (4.3.5, 4.4.6 und 4.5). Zwei Fallstudien zu den in den Libri cancellariae überlieferten allgemeinen Gestaltungsregeln (4.6) sowie zu in Urkundensammlungen festgehaltenen Einzelfallregelungen (4.7) beschließen das umfangreiche Kapitel 4, dessen Lektüre sich an manchen Stellen aufgrund der verschachtelten Kapitelstruktur als mühsam erweist. Das Fazit bietet eine chronologisch ausgerichtete Zusammenfassung der Befunde und betont, dass vor allem Krisen- und Umbruchssituationen (Konflikt mit den Staufern, Verlegung der Kurie nach Avignon und Rückkehr nach Rom) die Bearbeitung von Hilfsmitteln erforderlich machten, die Kontinuität im Bereich der Urkundengestaltung sicherstellen und dadurch gewährleisten sollten, dass die Funktionsfähigkeit der Kanzlei erhalten blieb und die Rechtmäßigkeit des jeweiligen Papstes nicht infrage gestellt wurde. Die Diss. von F. ist eine überaus gelungene Studie, die durch die Analyse teilweise sehr komplexer Materialien ein besseres Verständnis der Funktionsweise der apostolischen Kanzlei im späten MA ermöglicht.
Étienne Doublier