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Digitale Vorab-Veröffentlichung der Rezension aus DA 80,2 (2024) *.

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Joe Chick, Urban Society and Monastic Lordship in Reading, 1350–1600, Woodbridge 2022, The Boydell Press, XIV u. 217 S., 1 Karte, 4 Abb., 19 Tabellen, ISBN 978-1-78327-756-8, GBP 75. – Die sozialen Auswirkungen des Übergangs von der Klosterherrschaft zur Selbstverwaltung in der südenglischen Stadt Reading sind das Thema der 2020 abgeschlossenen Diss., auf der die vorliegende Studie basiert. Das Buch ist in die vier Themen Gesellschaft, Politik, Wirtschaft und religiöses Leben gegliedert. Die Einleitung bietet Informationen zur Stadttopographie, zur Klostergründung im 12. Jh. sowie zu den Rechtsverhältnissen zwischen den Benediktinern und der Bevölkerung, deren Elite sich bereits in der Mitte des 13. Jh. zu einer Kaufmannsgilde konstituiert hatte, die teilweise der Kontrolle des Klosters unterworfen war. Da Handwerkerzünfte erst im 16. Jh. auftraten und sich die drei Pfarreien der Stadt alle im Besitz des Klosters befanden, handelte es sich bei Reading um eine Siedlung mit recht einfachen Grundzügen. Dies trifft auch auf die in ihrer Struktur – nicht in ihrer Genese – klar dargestellten Rechtsverhältnisse zu, in denen die Religiosen trotz einer gewissen Machtverschiebung im Spät-MA dominierten. Die auf ca. 3000 Personen geschätzte Bevölkerung wird in Klerus und Laien unterteilt, die letztgenannte Gruppe wird vom Vf. je nach Tätigkeit und dem vermuteten Besitz in unterschiedliche Gruppen und Klassen gegliedert. Dies ist das Resultat einer als ‘Social Network Analysis’ vorgestellten Methode, die auf zwei Datensätzen beruht, einmal 600 ihrer Natur nach ganz unterschiedlichen Transaktionen aus der Zeit 1280–1600 sowie aus knapp 300 Testamenten aus der Zeit 1490–1589. Der Versuch des Vf., diese Vorgehensweise in der Appendix A (S. 187–189) zu erklären – erwähnt wird hier nebenbei auch ein zum Zweck der Auswertung verwendetes Computerprogramm –, ist nicht ausreichend, und es fehlt eine klare theoretische Grundlage. Während die Hinweise auf einzelne Testamente oft gute Beobachtungen erlauben, ist dies bei anderen Quellen nicht der Fall, und trotz der in der Bibliographie (S. 197f.) aufgeführten beeindruckenden Liste unveröffentlichter Quellen wird nicht deutlich, welche Bereiche der z.T. umfangreichen Aktenserien tatsächlich bearbeitet wurden. So wird S. 121 Anm. 81 zwar auf die Archivsignatur der Common Pleas von Ostern 1495 verwiesen (National Archive, CP40/931), doch es wird nicht gesagt, auf welcher Seite dieser 373 Pergamentrotuli umfassenden Akte der betreffende Eintrag zu finden ist. Der Vf. weist mehrfach ganz richtig darauf hin, dass in der bisherigen Forschung zu oft auf Gewaltausbrüche im Spannungsverhältnis von Kloster und Stadt geachtet worden ist, und zwar auf Kosten einer Analyse von langen Zeiten der Kooperation oder der pragmatischen Koexistenz. Von ebensolcher Bedeutung ist der Hinweis auf andere Formen der Konfliktlösung, etwa im Rahmen von Verhandlungen oder rechtlichen Auseinandersetzungen. Ch. versichert, dass an den politischen Wirren der Rosenkriege weder Stadt noch Kloster beteiligt gewesen seien, allerdings scheint die Elite Readings die neue Dynastie der Tudors unterstützt zu haben, denn es wurden 1487 nicht nur neue Privilegien gewährt, sondern die durch die Tuchindustrie wirtschaftlich erfolgreiche Stadt gewann eine gewisse Nähe zum Monarchen, da die städtischen Parlamentsvertreter dieser Zeit oft aus dem regionalen Landadel kamen und neben ihrer Mitgliedschaft im Parlament auch Positionen am Hof innehatten. Vor diesem Hintergrund ist es nicht erstaunlich, dass die Kaufmannsgilde Privilegien gewann und der Einfluss der Abtei auf die städtische Politik abnahm. Nach der Auflösung des Klosters kam die Stadt unter direkte königliche Kontrolle, aber es sollte Jahrzehnte dauern, bis ihr politischer Status endgültig geregelt war, da die heimgefallenen Rechte und Besitzungen des Klosters an Günstlinge der Krone vergeben wurden. Im Zentrum des 3. Kapitels steht die Entwicklung der städtischen Wirtschaft. Zwar wird auf S. 106 auf den Landbesitz, die Kontrolle des Marktes und der Messen sowie des Wasserwegs wie auch auf die Mühlen des Klosters verwiesen, doch eine Analyse der Klosterwirtschaft wird nicht versucht, so dass die Themen Stadt-Landbeziehungen, Woll- und Tuchproduktion oder die Rolle der Frauen im Wirtschaftsleben ohne Bezug zur ökonomischen Entwicklung des Klosters diskutiert werden. Stattdessen werden wichtige Informationen zur wirtschaftlichen Entwicklung der Stadt gegeben, die durch die zunehmende Mitwirkung von Geschäftspartnern aus der Grafschaft Berkshire und aus London eine neue Dynamik entfaltete. Im 16. Jh. dominierten diese Auswärtigen das Kreditwesen der Stadt. Die Analyse der Auswirkungen der Klosterauflösung 1539 ergibt keine Anzeichen für einen wirtschaftlichen Niedergang. Im abschließenden Kapitel zum religiösen Leben der Stadt wird den Benediktinern – mit der Ausnahme der Erwähnung von Pilgerfahrten – keine nennenswerte Rolle zugebilligt. Zwar finden sich Informationen über das Armenwesen, doch die benediktinische Caritas wird nicht erwähnt. Die Analyse von Testamenten zeigt, dass sich das religiöse Verhalten der Stadtbevölkerung schnell an der Kirchenpolitik der Regierung ausrichtete. Die kurze Rückkehr zum Katholizismus unter Königin Maria brachte kaum Veränderungen. In den Literaturangaben fehlen wichtige Arbeiten zu einschlägigen Themen, z.B. zur Reparatur der für den Handel bedeutsamen Brücken im ma. England (N. P. Books) oder zu den Franziskanern der englischen Ordensprovinz (M. Robson). Es ist denkbar, dass der Verlag auf einer Kürzung der Bibliographie bestand, denn sieben der im Verzeichnis der Abbildungen aufgeführten Tabellen sind gar nicht abgedruckt, sondern nur im Internet verfügbar.

Jens Röhrkasten