Francesco Panarelli / Kristjan Toomaspoeg / Georg Vogeler / Kordula Wolf (Hg.), Von Aachen bis Akkon. Grenzüberschreitungen im Mittelalter. Festschrift für Hubert Houben zum 70. Geburtstag, Heidelberg 2023, Heidelberg Univ. Publishing, 322 S., Abb., ISBN 978-3-96822-178-6, EUR 59,90 (DOI: https://doi.org/10.17885/heiup.1094). – Die Historiographie der Grenze und der Grenzerfahrungen ist ein mittlerweile klassischer mediävistischer Topos und zugleich eine Forschungsperspektive, die unter sich wandelnden Vorzeichen stets erneut an gesellschaftlicher Relevanz gewinnt. Mit der Fokussierung auf Grenzüberschreitungen widmet sich die Festschrift einer sowohl für das wissenschaftliche Werk wie auch für den persönlichen Parcours des Jubilars und Emeritus der Univ. Lecce bedeutsamen Thematik, wobei der Titel den Bogen von Houbens rheinischer Heimatregion bis in den östlichen Mittelmeerraum spannt. Transgressive Praktiken und Phänomene bilden somit einen Ausgangspunkt, der einerseits die vom Jubilar mitgeprägten Forschungsschwerpunkte und methodischen Herangehensweisen – v.a. Mediterranistik und Verflechtungsgeschichte – in einen prägnanten dialogischen Rahmen setzt, andererseits die methodische Berücksichtigung einer Vielzahl verschiedener Quellengattungen ermöglicht. In einem ersten Teil („Überschreitung räumlicher Grenzen“) untersucht zunächst Cristina Andenna (S. 15–37) die Rom- bzw. Kurienreisen von Frauen im Spät-MA und zeigt, dass der direkte Kontakt zum Papst auch Frauen möglich war, wenngleich unter Voraussetzung eines besonderen Grades der Vernetzung innerhalb der Kurie. Markus Koller (S. 39–61) belegt intensive Verbindungen zwischen dem Osmanischen Reich und dem Indischen Ozean bereits seit dem 13. Jh. Uwe Israel (†) (S. 63–86) rekapituliert die transkontinentalen Reisen des aus Chioggia stammenden Kaufmanns Niccolò de’Conti (c. 1395–1469), der neben geographischen und politischen auch konfessionelle Grenzen überschritt und zeitweilig zum Islam konvertierte. Arnold Esch (S. 87–109) eröffnet die Akten der Apostolischen Pönitentiarie als mikro- und alltagsgeschichtliche Quellengattung, die Einblicke in individuelle Schicksale während der osmanischen Eroberungszüge des 15. Jh. gewähren. Im zweiten Teil, der sich der Überschreitung kultureller Grenzen widmet, untersucht Annick Peters-Custot (S. 113–131) die oftmals postulierte Funktion des Klosters Grottaferrata als Grenzinstitution zwischen lateinischem und griechischem Christentum anhand liturgischer Quellen. Adrian J. Boas (S. 133–164) stellt die bislang wesentlichen baugeschichtlichen Erkenntnisse des seit 2006 bestehenden „Montfort Castle Project“ vor. Knut Görich (S. 165–187) betont die politische und symbolische Bedeutung der Prägung des Augustalis (ab 1231) und die damit verbundene Verbreitung des Herrscherbildes Friedrichs II. im Königreich Sizilien als Mittel der Restaurierung kaiserlicher Autorität nach dem Konflikt mit Papst Gregor IX. Romedio Schmitz-Esser (S. 189–205) beschreibt am Beispiel der Kunigundenkrone die hinsichtlich ihrer sich wandelnden materiellen, sakralen, politischen und letztlich identitätsstiftenden Bedeutungen vielfachen Grenzüberschreitungen ma. Schatzobjekte. Fulvio Delle Donne (S. 207–223) erörtert die Entstehung einer herrscherverherrlichenden, die Grenzen etablierter Stiltraditionen überwindenden Geschichtsschreibung im aragonesischen Neapel in der ersten Hälfte des 15. Jh. Den dritten Teil zur Überschreitung rechtlicher Grenzen eröffnet Stefano Palmieri (S. 227–251) mit einer Untersuchung der Stellung von Fremden im Langobardenreich, sowohl von Zugewanderten als auch solchen, die sich in einem anderen langobardischen Verwaltungsbezirk als ihrem Herkunftsort niederließen. Christian Friedl (S. 253–274) konstatiert auf Grundlage von Verlautbarungen in den Urkunden und Gesetzestexten Friedrichs II. eine moderat-duldende Haltung gegenüber Fremden im Regnum Siciliae und illustriert die migrantische Lebensrealität anhand einer Fallstudie über die ursprünglich wohl vom Oberrhein stammende Familie von Lützelhardt. Graham A. Loud (S. 275–287) untersucht rechtliche Grenzen im Königreich Sizilien am Beispiel der zwischen 1209 und 1220 bestehenden autonomen Strafgerichtsbarkeit des Klosters Cava und stellt erstmals eine vollständige Transkription des nur als Abschrift erhaltenen königlichen Privilegs zur Verfügung. Salvatore Fodale (S. 289–304) analysiert das Wirken des Mainzer Klerikers und Notars Johannes Riess als Sekretär des Bischofs von Catania anhand der von ihm angefertigten Akten der Jahre 1381–1392. Insgesamt enthält der Band vielseitige Schlaglichter auf die Thematik, wobei zahlreiche Schwerpunkte der jüngeren Forschung zum Tragen kommen. Er ist somit – für das Festschriftengenre nicht allgemein typisch – eine lohnende Lektüre, die einen Überblick zu relevanten aktuellen Forschungsdiskursen bietet und dabei die parallele Relevanz u.a. von institutions-, ideen- und objektgeschichtlichen Quellen aufzeigt. Englischsprachige Abstracts, die den deutsch-, italienisch-, französisch- und englischsprachigen Beiträgen voranstehen, sowie ein brauchbares Personen- und Ortsregister sorgen für zusätzliche Übersichtlichkeit.
Franz-Julius Morche