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Digitale Vorab-Veröffentlichung der Rezension aus DA 80,2 (2024) *.

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Mechanismen des Innovativen im klösterlichen Leben des hohen Mittelalters, hg. von Gert Melville / Jörg Sonntag (Klöster als Innovationslabore. Studien und Texte 12) Regensburg 2023, Schnell & Steiner, 312 S., Abb., Tab., ISBN 978-3-7954-3880-7, EUR 39,95. – Der Sammelband vereint neben einer sehr kurzen Einleitung der Hg. (Ein hinführendes Vorwort, S. 7–9) zwölf Beiträge. Zuerst klären die beiden Hg., was unter Innovationen verstanden wird, nämlich Grenzen überschreitende Erkenntnisse, und halten fest, dass die Klöster des 12./13. Jh. besonders produktive Orte für Innovationen waren. Die Reihe eröffnet Carmen Cardelle de Hartmann (S. 13–51). Sie konzentriert sich auf De laude novae militiae Bernhards von Clairvaux, Wilhelms von Saint-Thierry Epistola aurea und das Anticimenon Anselms von Havelberg und analysiert den Gebrauch und die Bedeutung des Wortes novitas und ähnlicher Begriffe. In der Epistola, die an die Kartäuser des Klosters Mont-Dieu gerichtet ist, bestärkt Wilhelm diese in ihrem Lebenswandel. Die Kartäuser erscheinen als Erneuerer ursprünglicher monastischer Ideale. Bernhard stellt die Templer als etwas Neues dar, das er v. a. durch paulinische Motive legitimiert. Anselms Anticimenon behandelt die Vielfalt des religiösen Lebens seiner Zeit und geht anschließend auf die Unterschiede zwischen Ost- und Westkirche ein. Er verteidigt die Vielfalt gegen kritische Stimmen, die diese neuen Entwicklungen ablehnten. Mirko Breitenstein (S. 53–74) untersucht „Schrift als Medium von Innovation“. Er bezeichnet das 12. und 13. Jh. als „Zäsur“ (S. 60), da sich nun bestimmte Gliederungsmöglichkeiten in Texten durchsetzten, z. B. Spatia zwischen Wörtern oder Register sowie Inhaltsverzeichnisse, was mit einer stärkeren formalen Gestaltung der Texte einherging. Mit dem Aufkommen des geregelten Noviziats im 12. Jh. stieg auch der Bedarf an paränetischen Texten und einer entsprechend angepassten und professionalisierten Schriftkultur, die bis ins Private reichte, wie auch die libri conscientiae belegen. Matthias Untermann (S. 75–99) fokussiert auf die von der kunsthistorischen Forschung vernachlässigte Klosterarchitektur. Zuerst betrachtet er die Zisterzienser und stellt deren Streben nach Vermeidung von Überflüssigem und nach uniformitas sowie ihre bewusste Abwertung nicht reformierter Klöster (S. 81) als innovativ vor. Die Franziskaner legten Wert auf große Schlichtheit und auf Bauten, die zwei Kreuzgänge hatten. Die „Reformklosterkirchen“ (S. 90) der Reformbewegungen seit dem 10. Jh. zeichnen sich durch eine „Konzentration auf den Ostbau“ (S. 94) aus und insbesondere durch ein Langhaus ohne liturgische Funktion. Julia Becker / Marcus Handke (S. 103–132) untersuchen das innovative Potenzial, das sich aus der Dichotomie von Individuum und Gemeinschaft ergab. Sie behandeln die unterschiedlichen im hohen MA neu aufkommenden monastischen Lebensformen in der Nachfolge Christi und der Apostel und sehen in „Missständen und einem damit verbundenen Bedarf an verlässlicher Heilssicherung … den impulsgebenden Faktor innovativer Leistung“ (S. 130). Fiona Griffiths (S. 133–152) stellt die Frage, wie innovativ monastische Lebensformen in Bezug auf Gender waren. Sie kommt zu dem Schluss, dass das hochma. Mönchtum Genderrollen neu festschrieb, indem Frauen als Bräute Christi besonders hervorgehoben wurden. Guido Cariboni (S. 153–163) beschäftigt sich mit den Gründungsideen, dem propositum, der Zisterzienser und nimmt vor allem die caritas und den labor manuum in den Blick. Rainer Berndt (S. 167–200) behandelt die Entwicklung liturgischer Neuerungen am Beispiel des Augustinerchorherrenstifts Saint-Victor in Paris. Er analysiert die liturgischen Feiern für die neuen Feste der translatio Augustini und der translatio Hugonis anhand von liturgischen Büchern bis ins 17. Jh. Eng damit verknüpft ist der Aufsatz von Karin Ganss (S. 201–233), die sich mit dem neuen Fest De susceptione pedis sancti Victoris und dessen Etablierung ab dem 15. Jh. beschäftigt und sich dafür der Analyse von Hss. widmet. Gert Melville (S. 235–252) untersucht „das Neue am zisterziensischen Umgang mit dem Recht“ (S. 243). Zur Carta caritatis als feststehendem Verfassungsdokument sollte Recht treten, das einerseits eine hohe Flexibilität und andererseits einen hinreichenden Abstraktionsgrad aufwies, um prospektiv wirken zu können. Jens Röhrkasten (S. 253–279) geht anschließend auf die Klosterwirtschaft und deren Innovationspotenziale ein, wobei insbesondere Flexibilität und Pragmatismus sowie ein hoher Grad an Schriftlichkeit relevant waren. Steven Vanderputten (S. 283–291) beschäftigt sich mit dem Verhältnis von Reform und Innovation im langen 12. Jh. Er stellt heraus, dass viele sogenannte Innovationen dieser Epoche einer längeren Entwicklungslinie seit dem 10. und 11. Jh. folgen. Romedio Schmitz-Essers (S. 293–308) abschließender Beitrag fragt nach den „Grenzen der Innovation“ am Beispiel von Arnold von Brescia und dem franziskanischen Armutsstreit. Er hält fest: „Das hochmittelalterliche Kloster war zugleich ein Ort der Innovation wie es selbst zur Einhegung des Innovativen und zum Ausschluss jener führte, die die Grenzen des Akzeptablen überschritten“ (S. 308). Erschlossen wird der Band durch die üblichen Register der Personen und Orte (S. 310–312), die ein paar Nachlässigkeiten aufweisen. So liest man leicht latinisiert „Iustinian I.“, aber „Konstantin I. d. Gr.“. Kirchen als Orte wie der „Kölner Dom“ wirken etwas eigenwillig, genauso wie pauschal das „Mittelmeer“. „Sankt Michael (Bamberg)“ steht alphabetisch zwar korrekt vor „St. Martin (Zürichberg)“, dazwischen eingeschoben finden sich aber elf Einträge von „Sardinien“ bis „Speyer“. In summa bietet der Sammelband vielfältige Einblicke in die Innovationspotenziale des hochma. Mönchtums, die Anknüpfungspunkte für weitere Forschungen bieten.

D. T.