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Digitale Vorab-Veröffentlichung der Rezension aus DA 80,2 (2024) *.

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Markus Gneiss, Milites et clientes. Studien zu sozialen Gruppenbildungsprozessen innerhalb der (rittermäßigen) Klientel der Kuenringer vom 12. bis zum 14. Jahrhundert (Forschungen zur Landeskunde von Niederösterreich 44) St. Pölten 2023, Verein für Landeskunde von Niederösterreich, 781 S., ISBN 978-3-901234-40-8, EUR 35. – Die Wiener Diss. untersucht den niederen Adel im Umfeld der Herren von Kuenring, einer dominierenden Herrenfamilie in der Mark und dem Herzogtum Österreich im erfassten Zeitraum. Ihre Besitzschwerpunkte, für deren Sicherung und Verwaltung sie die hier behandelten Personengruppen brauchte, lagen großteils nördlich der Donau, wo sie eine wesentliche Rolle bei der Erschließung des Landes spielten und auch mehrere Kleinstädte besaßen, und in der Wachau, doch sie griffen auch in andere Landesteile aus, wo sich ihnen ebenfalls Rittermäßige anschlossen. Angesichts der Vielfalt der Rechtsformen der Bindungen und ihrer unterschiedlichen Dauer, aber auch zur Vermeidung belasteter Begriffe hat sich der Vf. für die Benennung als Klientel entschieden. Die Schwierigkeiten solcher Untersuchungen sind sattsam bekannt: Nennungen fast nur in Urkunden und Informationen daher nur über Lebensbereiche, die in Urkunden berührt werden; Vorkommen vielfach nur in Zeugenlisten, die aber schon im zweiten Drittel des 14. Jh. ausgedünnt sind; fluktuierende Terminologie bei ständischer Zuordnung, Titulierung und Verwandtschaft; Abgrenzungen Gleichnamiger und Identifizierung von Personen mit wechselnden (Bei-)Namen; späte und sporadische Überlieferung von Siegeln; schlechte Dokumentation der oft nur mit Taufnamen bekannten Frauen. Die Arbeit legt die Probleme, aber auch die Methoden und Möglichkeiten, doch zu Ergebnissen zu kommen, offen und informiert eingangs über die Geschichte und den Besitz der Herrenfamilie, die ja den roten Faden abgibt. In einem über 300-seitigen prosopographischen Teil in der zweiten Hälfte des Bandes werden die Protagonisten, gegliedert nach Familien – also meist in agnatischer Generationenfolge unter den mehr oder weniger stabilen Herkunftsnamen nach ihren Sitzen –, minutiös in ihren Nennungen, Aktivitäten und Verbindungen vorgestellt, denn nur auf dieser empirischen Basis zahlloser Einzelbeobachtungen können Analysen gewagt werden. Karten, tabellarische Übersichten und einige wenige Stammbäume sind beigegeben. Den Kern bilden aber die darauf beruhenden, im Band den Prosopographien vorgelagerten systematischen Untersuchungen. Die Genese der Beziehungen zwischen den Herren und ihrer Klientel ist selten zu verfolgen. Meist können sie nur als gegeben festgestellt werden. In manchen Fällen stießen aber Rittermäßige aus anderen als den kuenringischen Kernbereichen anscheinend aus eigener Entscheidung dazu oder pendelten zwischen ihren Herkunftsgebieten und der Umgebung der Kuenringer. Relativ gut fassbar sind Funktionsträger wie Richter, auch in den Städten, und Burggrafen, weniger deutlich Lehensträger, während die Zeugenlisten engere Kerngruppen um einzelne Familienzweige oder dominierende Vertreter der Kuenringer erkennen lassen. Wieweit die zunehmend sichtbaren Verbindungen auch zu anderen Herrenfamilien neu entstanden oder nur besser sichtbar werden, ist schwer zu entscheiden, doch die größer werdende Flexibilität und Mobilität der Rittermäßigen fügt sich zu entsprechenden Beobachtungen anderer Klientelverbände im Land. Viel Aufmerksamkeit gilt auch den Beziehungen der Rittermäßigen inner- und außerhalb der kuenringischen Klientel untereinander, dem Konnubium, der Relevanz von Verwandtschaft und der Frage, wieweit sie in den Quellen als nennenswert empfunden wurde, der Gruppierung um einzelne Klöster und der Stiftungstätigkeit. Manche Familien nahmen Motive der kuenringischen Wappen in die ihren auf, bei anderen unterschieden sich die Siegelbilder der Familienzweige deutlich, während sie bei manchen konstant blieben. Die Beobachtungen werden stets methodisch reflektiert vorgetragen und allgemeine Schlüsse mit großer Vorsicht gezogen. Insgesamt zeichnen sich aber doch die möglichen Profile der untersuchten Personengruppen ab. Die nüchterne und stets quellenbezogene Darstellung hält sich von jeglichem Wunschdenken fern und gibt damit ein Modell und eine Vergleichsbasis für weitere derartige Untersuchungen ab – mit den Ergebnissen, die die umsichtig bearbeiteten Quellen zulassen, und der Diskussion der Probleme, wo sie das nicht tun.

Herwig Weigl