Herrscher in der Metropole. Spannungsfelder zwischen politischer Zentralität und urbaner Diversität in Antike und Mittelalter, hg. von Jörg Oberste / Susanne Ehrich (Forum MA – Studien 20) Regensburg 2023, Schnell & Steiner, 310 S., zahlr. Abb., ISBN 978-3-7954-3812-8, EUR 49,95. – Nach 20jährigem Bestehen des interdisziplinären stadtgeschichtlichen Forschungsverbunds „Forum MA“ an der Univ. Regensburg ist zugleich der 20. Band der zugehörigen Publikationsreihe anzuzeigen. Er enthält die Erträge einer 2018 abgehaltenen Tagung, die das Forum gemeinsam mit dem Graduiertenkolleg „Metropolität in der Vormoderne“ veranstaltet hat und die sich den Aushandlungsprozessen zwischen Herrschern und (ihren) Metropolen von der Antike bis zum Spät-MA widmete. Die Tagungsveranstalter und Hg. gehen davon aus, dass in der Vormoderne ein Spannungsverhältnis zwischen monarchischer Herrschaftsordnung einerseits und urbaner, kollektiver Entscheidungsfindung andererseits bestand, die Stadt somit einen „Fremdkörper in der feudalen Praxis“ (S. 7) bildete, was Herausforderungen für beide Seiten mit sich brachte. Anhand von Fallstudien wird danach gefragt, wie die so beschriebene Konkurrenzsituation auf das Selbstverständnis und die Herrschaftsrepräsentation von Monarchen und städtischen Gruppen wirkte. Dabei kommen vor allem Konstantinopel, Rom, Mailand, London, Paris, Brügge, Toledo und Valladolid in den Blick. – Die Aufsätze mit einem Fokus auf das MA widmen sich unterschiedlichen Medien, in denen das angenommene Spannungsfeld sichtbar wurde bzw. in denen die Aushandlungsprozesse und Selbstverständigungen erkennbar werden. Die differierenden und konkurrierenden Deutungen von Geschichtsschreibern extrahiert Étienne Doublier (S. 117–132), indem er die Diskurse über das Verhältnis zwischen Mailand und den weltlichen Herrschern in der Historiographie des 11. und 12. Jh. thematisiert. Christina Bröker (S. 155–169) nutzt die in Chroniken überlieferten Emotionsbeschreibungen als Sonde, um dem Verhältnis des englischen Königs Heinrich III. zur Stadt London nachzuspüren. Mehrere Beiträge stellen Herrschaftsereignisse und die damit verbundenen Rituale ins Zentrum, um Inszenierungsabsichten und Repräsentationsstrategien zu entschlüsseln. So behandelt Alberto Spataro (S. 99–116) die Krönung und Hochzeit König Heinrichs VI. 1186 in Mailand in ihrem Einfluss auf die Politik und die unterschiedlichen Elitengruppen in der italienischen Metropole. Knut Görich (S. 133–154) widmet sich mit dem Herrschereinzug (Adventus) einer zentralen, in der Forschung viel beachteten Ritualform. Anhand der Einzüge Kaiser Friedrich Barbarossas in italienischen Kommunen arbeitet er die einzelnen Bestandteile des zeremoniellen Handelns und die damit verbundenen Botschaften sowie die – in Bezug auf städtische Interessen – durchaus widersprüchlichen Rezeptionsweisen heraus. Auf die Rolle von Bauprogrammen und Herrscherbildern als Medien des königlich-städtischen Verhältnisses konzentrieren sich Sascha Köhl (S. 215–242) und Jörg Oberste (S. 171–213), ersterer anhand von monumentalen Denkmalsetzungen in verschiedenen europäischen Hauptstädten, letzterer am Beispiel der Pariser Kathedrale auf der Île-de-la-Cité. Den damit verbundenen Fragen nach herrscherlicher „Personalpolitik“ in den Städten geht Frank Engel (S. 243–257) anhand von spanischen Metropolen im 14. Jh. nach. Auch Andreas Rehberg (S. 259–292) fragt für Rom einerseits nach den päpstlichen Patronagemustern, andererseits nach dem „visuellen Kampf um die Oberhoheit“ (S. 279) in der Stadt, vor allem durch heraldische Zeichensetzungen. – Insgesamt bietet der gelungene, mit qualitätvollen Abbildungen gut ausgestattete Band viele Anregungen. Er vermisst das Thema, das zuletzt im Rahmen der Residenzstadtforschung verstärkt für Spät-MA und frühe Neuzeit und für kleinere Herrschaftssitze in den Blick genommen wurde, mit anderer chronologisch-transepochaler Schwerpunktsetzung und in Anknüpfung an die Metropolenforschung. Ein Register hilft bei der Erschließung.
Michael Hecht