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Digitale Vorab-Veröffentlichung der Rezension aus DA 80,2 (2024) *.

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Religious Rites of War beyond the Medieval West, ed. by Radosław Kotecki / Jacek Maciejewski / Gregory Leighton, Vol. 1: Northern Europe and the Baltic, Vol. 2: Central and Eastern Europe (Explorations in Medieval Culture 24/1–2) Leiden / Boston 2023, Brill, 2 Bde. mit 313 u. 382 S., ISBN 978-90-04-68342-6 (zusammen), ISBN 978-90-04-68340-2 (Bd. 1), ISBN 978-90-04-68341-9 (Bd. 2), EUR 118,50 (Bd. 1), EUR 113,30 (Bd. 2). – Es ist ein Gemeinplatz, dass das ma. Kriegswesen wie die damalige Lebenswelt insgesamt von religiösen Überzeugungen durchdrungen war. Krieg und Religion als getrennte Bereiche zu untersuchen, wäre daher wenig sinnvoll. Der Einfluss der Religion auf die Kriegs-Praxis ist v.a. über die Rituale greifbar, mit denen göttlicher Beistand herbeigeführt, abgesichert oder gefeiert wurde. Das ist für den westlichen Teil Europas vergleichsweise gut untersucht, weshalb sich die Hg. das Ziel gesetzt haben, den Fokus auf Nordeuropa (wozu sie die Britischen Inseln zählen), das Baltikum, Ost- und Zentraleuropa (östlich des heutigen Deutschland) und damit auf Regionen zu weiten, die bisher weniger gut beforscht wurden. Die insgesamt 16 Beiträge können hier nicht im Einzelnen gewürdigt werden. Ihnen gelingt es mal besser und mal schlechter, zum Thema Substantielles beizutragen. Sie folgen keiner einheitlichen Fragestellung, so dass Detailstudien neben Überblicksdarstellungen stehen, wobei letztere dazu tendieren, die Analyse hinter die Aneinanderreihung von Lesefrüchten zurückzustellen. Etwas unscharf ist die Definition des Untersuchungsgegenstands geraten, denn vielfach spielen die vollzogenen Riten eine marginale Rolle neben dem bloßen Nachweis des Glaubens an das Eingreifen höherer Mächte. Das mag allerdings auch daran liegen, dass Rituale wie Messen oder Gebete vor der Schlacht in den Quellen kaum detailliert beschrieben werden, weil sie häufig zu selbstverständlich waren, um ein besonderes Interesse auf sich zu ziehen. Umgekehrt könnte die Beschreibung eines Rituals auf dem Schlachtfeld dafür sprechen, dass es sich gerade nicht um ein typisches Vorgehen handelte. Insgesamt findet sich in den Bänden angesichts des Titels erstaunlich wenig Ritualforschung im engeren Sinn. Die Chance, das Überleben vorchristlicher Rituale und Vorstellungen in verhältnismäßig spät christianisierten Regionen zu untersuchen, wurde so gut wie nicht genutzt. Da ein Teil der in Rede stehenden Kriege als Kreuzzüge organisiert war, wird vielfach der Import westlicher Rituale beschrieben, nicht aber die Tradition der jeweiligen Region. Es stellt sich daher die Frage, ob es wirklich weiterführend ist, etwa das Baltikum getrennt vom lateinischen Westen zu betrachten. Doch diese Einschränkungen sollten nicht darüber hinwegtäuschen, dass es den Hg. gelungen ist, zwei sehr anregende Bände zusammenzustellen, die zahlreiche Forschungsperspektiven und wenig beachtete Quellen aufzeigen und denen deshalb eine breite Rezeption zu wünschen ist.

Max Plassmann