Nathan Ron, Nicholas of Cusa and Muhammad. A critical revisit, New York u.a. 2023, Peter Lang, XII u. 108 S., ISBN 978-1-636-67323-3, EUR 41,95. – Cusanus war kein Freund des Islam und kein pazifistischer Kreuzzugsgegner. Die These des israelischen Historikers R. ist nicht spektakulär, versucht aber genau das zu sein: Umsturz eines angeblich allgemein vorherrschenden heroisch-idealisierten Cusanus-Bildes. Die bisherige Forschung habe Nikolaus von Kues als irenischen Toleranzapostel dargestellt und sei blind gewesen für dessen anti-islamische Haltung und Beteiligung am europäischen Kreuzzugsprojekt. Die Argumentation verfolgt im Wesentlichen drei Richtungen: a) Ein theologischer Vergleich der beiden Cusanus-Werke De pace fidei (1453) und Cribratio Alchorani (1461), b) die Aufzählung anti-islamischer Angriffe bei Cusanus, c) das Kreuzzugsengagement. R. betont die Widersprüchlichkeit des Islam-Bildes bei Nikolaus von Kues, insbesondere was die Figur des Propheten Mohammed betrifft. Die cusanischen Positionen seien derart islamfeindlich, dass von einem ‘interreligiösen Dialog’ keine Rede sein dürfe. Denn wer einen Dialog anstrebe, könne nicht die eigene Religion als überlegen darstellen und die Fehler des anderen hervorheben (S. 38). Die systematische theologische Analyse erreicht nicht das Niveau der inzwischen sehr umfangreichen Forschung, die R. nur partiell zur Kenntnis nimmt. Insbesondere die Arbeiten des mehrfach heftig kritisierten Trierer Theologen Walter Andreas Euler (S. 5, 22, 41, 88–90) kennt R. nur in Form zweier englischsprachiger Synthesen; Deutschkenntnisse sind für dieses Forschungsfeld unabdingbar. Wer der Forschung „Blindheit“ (S. VIf., 5) und selektive Wahrnehmung (S. 58: „Specific findings are ignored by those whose agenda dictates their research reports“) vorwirft, sollte, was die eigene Rechercheleistung betrifft, die Angriffsfläche minimieren. Die historische Argumentation (bes. S. 57–73) beruht vor allem auf der Teilnahme des Nikolaus von Kues an der Regensburger Reichsversammlung (Mai 1454) und am Fürstenkongress von Mantua (Oktober 1459–Januar 1460). In beiden Situationen stellte sich Nikolaus von Kues jedoch, anders als R. suggeriert, keineswegs an die Spitze der Kreuzzugsbewegung. Auf dem Regensburger Reichstag tauchte er nach langem Zögern überraschend Anfang Mai 1454 auf, als klar wurde, dass auch der Herzog von Burgund persönlich teilnehmen würde. Nach Mantua kam Nikolaus von Kues erst, als die persönliche Teilnahme seines Hauptgegners Herzog Sigismund von Österreich feststand; mit dem Kreuzzug hatte das nichts zu tun. Zuvor hatte Cusanus sogar monatelang versucht, das Zustandekommen des Kongresses zu verhindern und den bereits auf dem Weg nach Mantua befindlichen Papst zur Umkehr zu bewegen, weil er an den Erfolgschancen des Projekts zweifelte. Cusanus war weder bedingungsloser Kreuzzugsenthusiast noch Kreuzzugsgegner. Er setzte, wie andere Intellektuelle seiner Zeit auch, auf eine persuasive Auseinandersetzung in der festen Überzeugung, dass die überlegene christliche Position sich durchsetzen müsste. Als christlicher Autor stand für ihn der Wahrheitsanspruch des Christentums außer Frage. Agonal und, wenn man so will, anti-muslimisch, aber gleichwohl lieber diskursiv als militärisch – so ließe sich die cusanische Haltung zusammenfassen. Theologisch kompetentere Rezensenten mögen das Bild korrigieren oder vertiefen. Aus der Sicht des Historikers ist der Erkenntnisgewinn gering.
Thomas Woelki