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Digitale Vorab-Veröffentlichung der Rezension aus DA 80,2 (2024) *.

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Julia Hörmann-Thurn und Taxis, Angepasst oder selbstbestimmt? Zur Sozial- und Kulturgeschichte spätmittelalterlicher Fürstinnen im Herzogtum Österreich und in der Grafschaft Tirol im 13. und 14. Jahrhundert (MIÖG Ergänzungsbd. 67) Wien / Köln 2023, Böhlau, 788 S., 10 Tab., ISBN 978-3-205-21728-2 (Print), ISBN 978-3-205-21730-5 (OpenAccess), EUR 120. – In der überarbeiteten Fassung ihrer Innsbrucker Habil.-Schrift legt die Vf. eine sozial- und kulturhistorische Studie vor, welche das Engagement und die Handlungsoptionen spätma. Fürstinnen in Hof und Herrschaft am Beispiel der 22 Ehefrauen der im 13. und 14. Jh. die habsburgischen Herzogtümer Österreich, Steiermark und Kärnten sowie die Grafschaft Tirol regierenden Landesfürsten untersucht. Die Annäherung an ausgewählte Aspekte der Lebenswirklichkeiten dieser Fürstinnen fokussiert auf Herkunft, Umgebung sowie wirtschaftliche Möglichkeiten. Das Ziel liegt in der Erfassung des überindividuellen sozio-kulturellen Konstellations- und Handlungsrahmens, um so allgemeine Erkenntnisse zu dieser sozialen Gruppe zu gewinnen und das individuelle Verhalten einordnen zu können. Abgedeckt werden verschiedene Felder weiblichen Handelns in Politik und Herrschaft: Engagement in Verwaltung und Regierung, religiöses Engagement sowie die Titelführung, wofür Urkunden-Intitulationes und Siegellegenden, aber auch der „Amtsjargon“ der Kanzleibücher (S. 316) herangezogen werden. Analysiert werden weiterhin soziale und emotionale Beziehungen zu Kernfamilie, Verwandtschaft und Hofleuten. Darüber hinaus werden Beobachtungen zu Netzwerken, zur Ehepraxis, zum Alltagsleben sowie zu Tod und Memoria der Fürstinnen angestellt. Ausgewertet wurden dafür Urkunden, Testamente, Rechnungsbücher und andere Verwaltungsquellen sowie administrative und „private“ Korrespondenz, zum Teil auch Historiographie. Ein schlankes Fazit (S. 545–554) rundet die Arbeit ab; besonders hinzuweisen ist auf die Edition von zehn Fürstinnentestamenten im Anhang. Auf Abbildungen wurde verzichtet. Zu begrüßen ist die Open Access-Veröffentlichung. Die Untersuchung bestätigt nun auch in Bezug auf die österreichischen und Tiroler Landesfürstinnen in vielerlei Hinsicht frühere Erkenntnisse, relativiert manch bisherige Annahme und kommt auf einige neue Ergebnisse, vor allem hinsichtlich der Verfügungsgewalt über das Heiratsgut, das den Frauen oft auch schon während ihrer Ehe zur Verfügung stand und nicht erst als Witwe. Deutlich wird die Notwendigkeit der Beachtung von persönlicher Eignung und individuellen Interessen. Bei religiösen Stiftungen, dem einzigen Handlungsfeld, bei dem dezidiert ein Vergleich mit den Landesfürsten erfolgt, wurden Fürstinnen häufiger alleine als partnerschaftlich tätig, und sie bevorzugten Mendikanten und weibliche Ordenszweige. Hinsichtlich der Frage nach dem Kulturtransfer vor allem bei „internationalen“ Heiraten wird direktes Engagement von Fürstinnen nur in der Grabarchitektur erkennbar (S. 521). Als „unerwartetes Ergebnis“ (S. 550) zeigt sich, dass Frauen, die keine männlichen Nachkommen gebaren, nicht benachteiligt wurden. Das Verdienst dieser Arbeit liegt nicht zuletzt darin, den Blick auf Frauen zu lenken, die trotz einigermaßen guter Überlieferung in der Forschung häufig noch „im Schatten ihrer wirkmächtigen Männer“ (S. 26) standen. Der auf intensive Quellenstudien gestützte sozial- und kulturhistorische Ansatz einer Annäherung an die Handlungs(spiel)räume von Fürstinnen zweier Dynastien ermöglicht valide Ergebnisse und ist einem „Cherry picking“ breit gestreuter Fallbeispiele vorzuziehen. Damit bereichert der Band nicht nur die mediävistische Frauenforschung und die Regionalgeschichte, sondern dient als wertvolle Basis wie Anregung für weitere Studien, die letztlich einmal zu einer „zusammenfassenden Auseinandersetzung zu den Fürstinnen des Mittelalters aus sozial- und kulturgeschichtlicher Perspektive“ (S. 20) hinführen sollen.

Anja Thaller