Innocenz III., Honorius III. und ihre Briefe. Die Edition der päpstlichen Kanzleiregister im Kontext der Geschichtsforschung, hg. von Andrea Sommerlechner / Herwig Weigl (Veröffentlichungen des Instituts für Österreichische Geschichtsforschung 79) Wien 2023, Böhlau, 272 S., ISBN 978-3-205-21769-5, EUR 50. – Der Sammelband geht zurück auf die Jahrestagung des Instituts für Österreichische Geschichtsforschung im Jahr 2021 und zielt laut dem knappen Vorwort der Hg. (S. 9) darauf ab, „vom Nutzen des Edierens, der Nutzung von Editionen, von Langzeitprojekten und ihren Problemen, von den Techniken des Edierens und den Möglichkeiten, welche die Digitalisierung eröffnet“, zu berichten, „und zwar konkret anhand der Register zweier Päpste“. Nicht alle Beiträge beschränken sich allerdings auf die Schriften, schon gar nicht auf die Registerstücke dieser beiden Päpste. Eine gemeinsame Fragestellung scheint es nicht gegeben zu haben, die Beiträge sind immerhin grob thematisch angeordnet, was ebenfalls im Vorwort ganz knapp angedeutet wird; Zwischenüberschriften, genauere Ausführungen zum Aufbau oder gar eine programmatische Einleitung vermisst man allerdings. Der erste Beitrag von Andrea Sommerlechner (S. 11–21) heißt zwar „Einleitung“, es geht aber faktisch nur um die nach dem Doppelpunkt im Titel folgende Editionsgeschichte der Innocenz-Register. Im Mittelpunkt stehen Fort- und Rückschritte, die wichtigen mit der Edition verbundenen Namen und der Plan einer Fortsetzung des Unternehmens mit den Registern Honorius’ III. Ob eine solche Edition in einer von der Vf. als feindlich gegen derartige Unternehmungen wahrgenommenen Zeit gelingen kann, scheint fraglich. Die zwei folgenden Exkurse von Andreas Gottsmann (S. 22–26) durchzieht ein jammervoller und kulturpessimistischer Unterton, der auch in weiteren Aufsätzen des Bandes zu finden ist. Die anschließenden vier Beiträge befassen sich mit Papstbriefen und -urkunden, deren Abfassung und Überlieferung sowie der Funktionsweise der päpstlichen Kanzlei. David L. d’Avray (S. 27–37) spannt den Bogen hierbei möglicherweise etwas zu weit von der Spätantike bis in die nach-tridentinische Zeit; seine acht präsentierten Thesen geraten mitunter etwas platt. Der Versuch, die longue durée der Geschichte der Papsturkunden auf zehn Seiten abzuhandeln, kann kaum als gelungen gelten. Dagegen zeigt Patrick Zutshi (S. 39–51), wie die Edition der Innocenz-Register die Forschung zum Wirken der Prokuratoren an der Kurie am Beginn des 13. Jh. befruchten kann, in Bezug auf die Begriffsgeschichte, die Prosopographie des Personals oder die normativen Bestimmungen im Kanzleiwesen. Christoph Egger (S. 53–77) unternimmt klassische Diktatstudien anhand der Briefe Innocenz’ III., stellt aber zum Ende seines Beitrags die Relevanz dieser Untersuchungen grundsätzlich in Frage, denn „als Papst ist Innocenz der Autor aller Briefe … Es spricht in ihnen das Amt und nicht das Individuum“ (S. 77). In einem sehr kleinteilig angelegten Beitrag verfolgt Andreas Fischer (S. 79–96) die Übernahme und vor allem die Abänderungen von Briefen Innocenz’ III. und Honorius’ III. in verschiedenen Briefsammlungen, die mit Thomas von Capua in Verbindung gebracht werden und wurden. Der nächste erkennbare Abschnitt bietet vier Aufsätze, die alle in irgendeiner Weise das (kanonische) Recht tangieren. Stefan Schima (S. 97–122) stellt zwar das Diktum „Juristenpapst“ für Innocenz III. in Frage, da er ihn eher pastoraltheologisch geprägt sieht; das rechtliche Wirken Innocenz’ ist für ihn insgesamt ambivalent, Innocenz kann zwar als Wegbereiter für einige Standards gelten, die wir heute mit Rechtsstaatlichkeit in Verbindung bringen, gleichzeitig zeigte er aber auch extreme Härte gegen Gegner wie Häretiker oder Juden. Anne J. Duggan (S. 123–141) führt zwei Beispiele von Rechtsstreitigkeiten an, bei denen Innocenz III. ausdrücklich Entscheidungen seiner Vorgänger revidierte, wobei sie deutlich macht, inwiefern diese Fälle, die breit in den Dekretalensammlungen rezipiert wurden, Ausnahmen darstellen. Rainer Murauer (S. 143–153) verfolgt die päpstlichen Entscheidungen zum Thema Pfründenteilung und Pfründentausch von der Mitte des 12. Jh. bis zu Innocenz III.; diese waren zuvor klar verboten und wurden nun unter bestimmten Bedingungen zunehmend erlaubt. M. zeigt auch, wie die Registerbriefe in Sammlungen wie dem Liber Extra aufgenommen und glossiert wurden. Dies ist auch Lotte Kéry (S. 155–168) ein Anliegen, die deutlich macht, wie wichtig in rechtshistorischen Fragen eine Untersuchung der Innocenz-Briefe im Register ist, da diese eben im Zuge der kanonistischen Überlieferung häufig mehr oder weniger stark verändert wurden. Die folgenden drei Beiträge berühren Innocenz’ III. Wirken in bestimmten Regionen des Mittelmeerraums. Chris Schabel (S. 169–184) präsentiert verschiedene Editions- und Katalogisierungsunternehmen mit Bezug auf das Papsttum und den Osten, bevor er an einem Beispiel, dem Erzbischof Johannes von Neopatras, deutlich macht, wie wichtig gute Editionen (idealerweise mit Übersetzung und umfassender Kommentierung) für die Erforschung der lateinischen Kirchen im Osten sind. Ähnlich zeigt Kristjan Toomaspoeg (S. 185–199), wie man anhand des vielfältigen Materials in den Registerbänden Innocenz’ III. mittels quantitativer Untersuchungen den Blick auf das päpstliche Wirken im italienischen Süden schärfen kann. Damian Smith (S. 201–209) unterstreicht die Bedeutung der Registerüberlieferung Innocenz’ III. und Honorius’ III. für die Rekonstruktion der Beziehungen zwischen Papsttum und iberischer Kirche, aber auch für die iberische Geschichte generell, obwohl das 13. Jh. die drei großen iberischen Geschichtsschreiber Rodrigo Jimenez de Rada, Juan von Osma und Lucas von Tuy hervorgebracht hat. In den drei folgenden Beiträgen werden digitale Methoden zur Erforschung, aber auch zur Erstellung von Registereditionen präsentiert, wobei Innocenz III. hier klar nicht im Zentrum steht, sondern Honorius III. und die auf ihn folgenden Päpste. Thomas W. Smith (S. 211–223) wertet das achte Buch der Register Honorius’ III. statistisch aus und kommt zu dem allerdings wenig überraschenden Ergebnis, dass die „große“ Politik in den Registerbänden nur eine untergeordnete Rolle spielt, im Zentrum stehen kirchliche Alltagsprobleme. Georg Vogeler (S. 225–242) stellt verschiedene digitale Tools vor, mit denen Registerbriefe erschlossen und erforscht werden können, und ruft die Fachcommunity dazu auf, die Möglichkeiten, die dem „programmierenden Historiker“ (S. 242) offenstehen, auch zu nutzen. Serena Ammirati / Marco Maiorino / Paolo Merialdo (S. 243–251) präsentieren das italienische Projekt In Codice Ratio, im Zuge dessen ein Registerband Honorius’ III. mit Hilfe von Machine Learning erfolgreich transkribiert wurde. Unklar bleibt, wie das Projekt sich zum geplanten Editionsvorhaben der österreichischen Seite verhält. Der Band wird ähnlich abgeschlossen, wie er begonnen hat, von einem Forschungsbericht über ein Langzeitvorhaben, das am Deutschen Historischen Institut in Rom angesiedelte Repertorium Germanicum. Jörg Voigt (S. 253–266) verweist auf die Leistungsfähigkeit und mögliche Vorbildfunktion des Repertorium Germanicum für die Erschließung der vatikanischen Register wegen des „konzeptionellen Rahmens der Regestenaufbereitung und des Abkürzungssystems“ (S. 266). Am Ende des Bandes steht ein Siglenverzeichnis inklusive Übersicht über die erschienenen Bände der Register Innocenz’ III. und ein Verzeichnis der Vf. (S. 267–273). Es handelt sich bei dem Sammelband weniger um eine programmatische Publikation zu Papstregistern des Hoch-MA als um einen bunten Strauß von Beiträgen zum Papsttum, zu Langzeitvorhaben und deren forschungspolitischen Implikationen, zu Editionsproblemen, zu digitalen Chancen. Manchen Beiträgen hätte etwas mehr redaktionelle Sorgfalt gut getan, häufiger finden sich inhaltliche Wiederholungen, ohne dass auf die anderen diesbezüglichen Beiträge verwiesen würde. Als Teilhabende an einem Langzeitprojekt – wie die Rez. – sieht man sich bei der Lektüre oft hoffnungsfroh, manchmal ernüchtert nicken. Vor allem die Beiträge von Vogeler und den italienischen Vf. des In Codice Ratio-Projekts zeigen, wie der Weg zukünftig wohl aussehen wird (oder muss, je nach Sichtweise).
Veronika Unger