Martin Dekarli, Wyclif, Páleč a nominalisté na pražské univerzitě v pozdním středověku [Wyclif, Paleč und die Nominalisten an der Prager Universität im Spätmittelalter], Praha 2023, Nakladatelství Lidové noviny, 228 S., ISBN 978-80-7422-921-3, CZK 279. – Das Buch wirft neues Licht auf die frühe Rezeption des Oxforder Reformators John Wyclif an der Prager Universität. Der erste Teil (S. 13–32) bietet einen umfassenden Überblick über die Forschungsgeschichte zur Rezeption Wyclifs in Böhmen seit der Zeit Constantin von Höflers und Johann Loserths. In den folgenden Kapiteln stellt der Vf. neue Erkenntnisse vor, die sich aus dem Studium der Hss. (kodikologische Analyse), ihres Inhalts und ihrer intertextuellen Bezüge ergeben. Ein Überblick über die tschechische hsl. Überlieferung der Werke John Wyclifs schließt Informationen über bevorstehende Editionen unveröffentlichter Traktate und einen Ausblick auf die geplante Neuausgabe von Werken, die einst von der Wyclif Society herausgegeben wurden, mit ein (S. 33–46). Der Vf. setzt sich auch kritisch mit der bisherigen Forschung zum Transfer von Wyclifs Werken nach Böhmen auseinander (S. 47–52). Seine Darlegungen machen deutlich, dass weder die Heirat der böhmischen Prinzessin Anna mit dem englischen König Richard II. noch die englisch-böhmischen diplomatischen Beziehungen etwas mit der Verbreitung von Wyclif-Hss. zu tun hatten. Auch eine kritische Äußerung von Johann von Jenstein (1385) über Wyclifs Auffassung von Macht und Herrschaft zeugt nicht von direkter Kenntnis der Arbeit des Oxforder Meisters in Prag, da der Prager Erzbischof seine Informationen von seinem römischen Mitarbeiter Adam Easton, einem englischen Benediktiner, erhielt. Die ersten Hss. mit Werken Wyclifs dürften dank der Reise von Mařík Rvačka frühestens zwischen Frühjahr und Herbst 1386 in Prag eingetroffen sein. Das gesamte vierte Kapitel ist dem Dominikaner Nikolaus Biceps, einem Vertreter der realistischen Schule, der die Nominalisten als „Ketzer der Dialektik“ bezeichnete, und seinem Kommentar zu den Sentenzen des Petrus Lombardus gewidmet (S. 53–68). In diesem Text wird der Einfluss einiger theologischer Schriften Wyclifs deutlich, eine Rezeption des Traktats De veritate sacre scripture ist jedoch auszuschließen. Entscheidend ist die Datierung des Kommentars. Der Vf. kann zeigen, dass das im Kolophon angegebene Datum (1381) falsch ist und dass der Kommentar wahrscheinlich in mehreren Phasen zwischen 1387 und 1390 geschrieben wurde. Kapitel fünf (S. 69–107) analysiert sechs frühe logische Traktate Stephans von Páleč aus den Jahren 1391–1393. In ihnen untersucht der führende Prager Realist Fragen der Logik und Semantik unter gänzlicher Vernachlässigung der Universalien. Er folgt den Texten mehrerer englischer Logiker des 14. Jh., die in Prag seit den 1360er Jahren bekannt waren. Die Prager Realisten kannten oder interessierten sich bis 1393 nicht für den englischen Meister, erst diese Rezeption schuf die Voraussetzungen für seine spätere Akzeptanz. Das letzte und umfangreichste Kapitel (S. 108–169) ist der Entwicklung des philosophischen Diskurses an der Prager Universität gewidmet, der stark von der Pariser nominalistischen Schule (Jean Buridan u. a.) beeinflusst war und die Form einer schola communis annahm. Im theologischen Bereich wurden die Debatten über die Ideen von den Ansichten Ockhams beeinflusst, die durch die Interpretationen von Thomas von Straßburg und Konrad von Ebrach vermittelt wurden. Aus dem Prager Umfeld ragte Konrad von Soltau heraus, der die Ideen ablehnte, deren Existenz er nur aufgrund der Tradition anerkannte. Eine eingehende Untersuchung der Schriften der Prager nominalistischen Schule ergibt, dass derjenige Prager Gelehrte, der sich nach Nikolaus Biceps als nächster intensiv mit den Schriften des Oxforder Meisters auseinandersetzte, der Nominalist Helmold von Salzwedel war (bereits um 1393 oder früher). Um 1395 wurden dann von den Prager Realisten (Stanislav von Znaim, Stephan von Páleč u.a.) Erwiderungen auf die nominalistische Kritik verfasst. Am Ende der Publikation finden sich zwei Anhänge. Der erste enthält ein Verzeichnis der Schriften Stephans von Páleč in der Hs. Prag, Nationalbibl., X H 9 (S. 175f.). Der zweite Anhang ist eine Ergänzung zu den von František Šmahel, Vilém Herold und Josef Tříška veröffentlichten Quellenverzeichnissen zum Streit um die universalia realia vor 1400 (S. 177–185).
Přemek Bar