Jan Seehusen, Schützende Heilige des lateinischen Westens (370–600 n. Chr.) (Beiträge zur Hagiographie 24) Stuttgart 2021, Franz Steiner Verlag, 351 S., 6 Abb., ISBN 978-3-515-13020-2, EUR 58. – Ziel der Hamburger Diss. ist es, einen bisher als solchen nicht wahrgenommenen Heiligentypus zu definieren, der in einer Reihe von hagiographischen Texten fassbar wird, die in der Schwellenzeit zwischen Spätantike und Früh-MA entstanden sind. Charakterisiert wird der Typus dadurch, dass der Heilige schon zu Lebzeiten Schützer- und Helferfunktionen für eine bestimmte Gemeinschaft übernimmt, konkret auf den drei Gebieten der caritativen Tätigkeit, der Rolle eines Gesandten gegenüber weltlichen Autoritäten in- und außerhalb des römischen Reichs und der Befreiung von Gefangenen. Schon an dieser Aufzählung wird erahnbar, wie schwierig es ist, aus diesen unterschiedlichen Tätigkeiten „einen“ Typus zu konstruieren; im Detail werden dann auch für jeden der behandelten Heiligen spezifische Charakteristika herausgearbeitet, die den Versuch der Vereinheitlichung eines Heiligenbildes geradezu konterkarieren. Ein weiteres Problem ist die Abgrenzung gegenüber denjenigen Heiligen, die S. als genuin spätantik seinem neuen Typus gegenüberstellen will. Worin der Unterschied der patronus-Funktion eines spätantiken Bischofs gegenüber den Taten von S.s „schützenden“ Heiligen bestehen soll, abgesehen davon, dass Severin von Noricum oder Genovefa von Paris eben keine Bischöfe waren und ihre Autorität nicht über dieses Amt bezogen, hat sich mir nicht erschließen wollen. Germanus von Auxerre und Epiphanius von Pavia, beide Paradebeispiele für S.s Heiligentypus, waren sehr wohl Bischöfe; worin der fundamentale Unterschied liegt, der sie etwa von Martin von Tours trennen soll, wird durch die Arbeit nicht wirklich geklärt, da helfen auch Formulierungen wie „eine sorgfältig bedachte Wasserscheide im hagiographischen Diskurs des lateinischen Westens“ (S. 226) nicht viel weiter. Ärgerlich sind die sprachlichen Defizite des Vf. Für die meisten seiner Quellen kann er zwar auf moderne Übersetzungen zurückgreifen und bleibt so vor allzu groben Fehlinterpretationen verschont; fatal wird es, wenn er keine deutsche Übersetzung zur Verfügung hat wie bei der Vita Genovefae – da wird es schnell unscharf bis falsch, vgl. etwa S. 127 Anm. 136: Genovefa verteilt Getreide an jeden, prout opus fuit, „wie es ihre Aufgabe war“; S. 170 mit Anm. 5: multis vicibus, „in viele Dörfer“. Wenn ein Autor wie derjenige der Vitae patrum Iurensium von nostra garrulitas spricht, hat das rein gar nichts damit zu tun, dass er sich einer Gemeinschaft zugehörig fühlt (so S. 250); der Plural der ersten Person ist im Lateinischen ein gängiger Bescheidenheitsmarker. So kann die Arbeit letztlich weder in ihrer Gesamtaussage noch in den Detailbeobachtungen so recht überzeugen.
V. L.