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Thomas Kieslinger, Der Ritterorden von Santiago (ca. 1170–1310). Gemeinschaft und (Selbst-)Darstellung (Spanische Forschungen der Görresgesellschaft 45) Münster 2023, Aschendorff Verlag, VIII u. 371 S., ISBN 978-3-402-14874-7, EUR 56. – Wie der Titel schon angibt, ist es Ziel dieses Buchs, der Konstruktion einer Identität und eines Images für den Orden von Santiago und ihrer Beziehung zum Gemeinschaftsgefühl des Ordens nachzugehen. Der Vf. wertet hauptsächlich Quellen des 12. und 13. Jh. aus. Das Buch ist in zwei Hauptteile gegliedert. Der erste konzentriert sich unter dem Titel „Die santiaguistische Gemeinschaft“ auf die Ausrichtung des Ordens und die Motive für einen Ordenseintritt, wie sie in den ältesten Urkunden und Regularien des Ordens definiert werden. Dieser wurde auf den Willen Gottes zurückgeführt und ausdrücklich mit dem Kreuzzugsgedanken in Verbindung gebracht; ein Eintritt entsprach also einer religiösen Bekehrung und war ein Weg zum ewigen Heil. Der zweite Teil, „Lebensbereiche, Gemeinschaftsbildung und Mittel der (Selbst-)Darstellung“, baut auf diesen Ergebnissen auf. K. untersucht die Methoden, mit denen ein Gemeinschaftsgefühl erzeugt wurde, darunter der Prozess des Eintritts in die Institution, die Erfüllung der Verpflichtung zum Kampf gegen die Feinde der Christenheit, Erkennungszeichen und die Ordnung des Tagesablaufs, und zeichnet so ein lebendiges Bild vom Ordensleben und von der Konstruktion einer Ordensidentität. Insgesamt wirft die Darstellung neues Licht auf die Frage, wie der Orden sich selbst sehen wollte und was er von seinen Mitgliedern erwartete. Die Auswahl der Quellen bringt es allerdings mit sich, dass die tatsächliche Praxis über den Filter der Regeln betrachtet wird. Die Untersuchung ist systematisch aufgebaut und gut durch Quellen untermauert. Auch die Forschungsliteratur wertet K. gründlich aus, etwas verwunderlich ist nur das Fehlen portugiesischer Titel in der Bibliographie – selbst wenn der Vf. gleich am Anfang erklärt, das Königreich Portugal stehe nicht im Zentrum seines Interesses (S. 9). Einige frappierende Eigenschaften des Ordens hätten eine eingehendere Reflexion gelohnt, etwa die bekannte Tatsache, dass es von Anfang an auch weibliche Mitglieder gab (dazu vgl. unter anderem die Arbeiten von María Echániz Sanz, Maria Ferrer Guerrero oder Raquel Torres Jiménez), und die Frage nach dem Umgang mit ihnen, oder die ebenfalls bekannte Anwesenheit von muslimischen Bewohnern in seinem Herrschaftsgebiet und die Frage, was sie über die Selbstwahrnehmung der Ordensritter als Kreuzfahrer aussagt. Es darf nicht übersehen werden, dass in Hornachos eine der größten muslimischen Gemeinschaften Kastiliens unter der Herrschaft des Ordens stand (dazu haben sich Jean-Pierre Molénat und Juan Rebollo Bote geäußert), und dass dieser auch Muslime in seinen Dienst stellte. Diese Bemerkungen tun dem Wert des Bandes keinen Abbruch. Gut und verständlich geschrieben, vermittelt er einen umfassenden Überblick über den Orden von Santiago in seiner Anfangszeit, über das Selbstverständnis der Ordensritter und ihre Lebensweise – eine willkommene Bereicherung der Forschung zu den Ritterorden der Iberischen Halbinsel.

Clara Almagro Vidal (Übers. V. L.)