Gion Wallmeyer, Wissen über Ungewisses. Politische Berater und die spätmittelalterlichen Kreuzzugspläne (1274–1336) (Europa im MA 43) Berlin / Boston 2023, De Gruyter, IX u. 669 S., Abb., ISBN 978-3-11-107370-5, EUR 139,95. – Wer sich für die spätma. Traktate über den Kreuzzug interessierte, konnte bislang auf die knappe englische Monographie zurückgreifen, die Antony Leopold im Jahr 2000 publiziert hat (vgl. DA 58, 295f.). W. hat diese teils recht umfangreichen und komplexen Quellen in seiner Diss. aus einer innovativen Perspektive neu erschlossen, nämlich im Hinblick auf die Wissenskultur der Zeit. Im ersten Teil zeichnet er die Entstehung einer „kreuzzugsbezogenen Expertenkultur“ nach, was auch Reflexionen über Deutungen des „Kreuzzugs“ impliziert. Dabei überzeugt es durchaus, die früheren Züge als ein in der Vorstellung der Zeitgenossen primär von Gott – und nicht von menschlichen Entscheidungen – geleitetes Kriegsprojekt zu verstehen. Allerdings rekurrierte Papst Eugen III. in seinem Aufruf nicht auf den heiligen Matthias und dessen Söhne (S. 50f.), sondern auf den jüdischen Priester Mattatias und den Aufstand der Makkabäer. Derartige religiöse Referenzen rückten im 13. Jh. etwas in den Hintergrund. Nun wurde der Kreuzzug verstärkt im Hinblick auf sein innerweltliches Risiko diskutiert, das mit Hilfe gelehrter Berater besser kalkulierbar werden sollte. Im zweiten Hauptteil stellt W. die „funktionale Binnendifferenzierung“ dieser Ratgeberkreise vor, die auf militärische Expertise, geographisch-ethnographische Wissensbestände oder administrativ-finanzielle Kenntnisse zurückgreifen konnten und entsprechend unterschiedliche Schwerpunkte in ihren Traktaten setzten. Bei der Diskussion der Finanzierungsvorschläge in diesen Quellen wäre gelegentlich ein Blick in die Dekrete der beiden Konzilien von Lyon hilfreich gewesen, denn hier finden sich für einzelne Maßnahmen wie die Einwerbung testamentarischer Legate oder die Ausweitung der Kreuzzugssteuern auf Laien kirchenrechtliche Regelungen, die wohl in der gelehrten Diskussion um 1300 aufgegriffen wurden. Der dritte Teil ist der Frage gewidmet, wie diese Wissensbestände in bestimmten „Austauschzonen“ Eingang in die Entscheidungsfindungsprozesse an europäischen Höfen fanden. W. stützt seine Ausführungen hier – wie an anderer Stelle auch – auf Hss., was grundsätzlich zu begrüßen ist. Leider überzeugt die Interpretation hier nicht immer, eigenständige Transkription und Übersetzung gehen häufiger schief. Nur selten sind die Texte so unverständlich wie bei dem Prolog S. 411 Anm. 81 aus einer Pariser Hs., der wohl durch die Endredaktion gerutscht ist (und den man ohnehin in der im Quellenverzeichnis aufgeführten Edition des Wilhelm von Tripolis korrekt transkribiert gefunden hätte). Auch wenn im Detail einiges zu bemängeln ist, liest man die gut geschriebene Studie insgesamt mit Gewinn. Die Hauptthese, dass sich mit den „Kreuzzugsplanungen … ein Modell für die problemorientierte Experten-Laien-Kommunikation … an den lateineuropäischen Herrscherhöfen“ etabliert habe (S. 578), wird sehr plausibel entwickelt. Der Forschungsansatz ließe sich für die Humanisten und die Türkenkriegswerbung des 15. Jh. sicher ebenso produktiv diskutieren wie für andere Bereiche der Gelehrten- und Kreuzzugsgeschichte.
Georg Strack