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Digitale Vorab-Veröffentlichung der Rezension aus DA 80,2 (2024) *.

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Jean Wirth, La sorcellerie et sa répression en Europe (Titre courant 75) Genève 2023, Droz, 184 S., ISBN 978-2-600-00575-3, EUR 23. – Das Taschenbuch hat große Ambitionen. Auf rund 160 Textseiten soll eine Globalerklärung für das Aufkommen der Hexenverfolgungen sowie für ihr Abklingen vorgelegt werden, eine Thematik, die – so der Rückentext – bislang keine befriedigende Erklärung erfahren habe. Im ersten Kapitel geht der Vf., emeritierter Lehrstuhlinhaber für Kunstgeschichte mit einem Schwerpunkt im MA, auf die antiken und frühma. Wurzeln der Hexenvorstellungen ein. Im zweiten widmet er sich den Stimmen, welche die Machenschaften des Teufels als Blendwerk interpretierten, allen voran dem sogenannten Canon episcopi, der über das Sendhandbuch des Regino von Prüm und den Liber decretorum des Burchard von Worms ins Decretum Gratiani einfloss und in dem der Tierritt nachtfahrender Frauen als dämonische Illusion verurteilt wurde, so dass künftige Befürworter der Realität des Hexenflugs besagten Canon jeweils wegerklären mussten. In Kapitel drei geht der Vf. der häretischen bzw. anti-häretischen „Vorgeschichte“ der Hexenverfolgungen im 13. und 14. Jh. nach, bevor er sich in Kapitel vier der neuen Häresie der Hexer zuwendet, die im Anschluss an eine gegen Ende des 14. Jh. einsetzende Ausreifungszeit im frühen 15. Jh. in ihrer vollends ausgebildeten Form erschien. Das Kapitel fünf ist den neuzeitlichen Hexenverfolgungen zugedacht, Kapitel sechs deren Ausklingen. Damit ist der Aufbau des Büchleins bzw. die Konstruktion der historischen Darstellung durchaus konventionell. In hohem Maß irritierend sind jedoch die häufigen auktorialen Wortmeldungen des Vf., in denen er mit unmissverständlich wertenden und damit unpassenden Bemerkungen auf sich aufmerksam macht, so wenn er beispielsweise Gervasius von Tilbury als „leichtgläubig“ (S. 47) charakterisiert oder ein Werk des französischen Archivars Étienne Delcambre (1897–1961) als ebenso „naiv wie nützlich“ (S. 63) bezeichnet. Dies ist nur ein Beispiel für W.s Art, gegen andere Autoren zu polemisieren, wobei nicht immer klar wird, wen er meint, gerade wenn er allgemein „fast alle Historiker“ (S. 72) anspricht. Das Aufkommen und Ausklingen der Hexenverfolgungen sind komplexe Problematiken. W. bewegt sich gleichsam gegen die Strömung, wenn er diese Komplexität reduziert, indem er beispielsweise bei der Frage nach den Gründen für die massive Verfolgung in der frühen Neuzeit die Kategorie „Mentalität“ peremptorisch zurückweist, ebenso die Faktoren „Rechtssystem“ und „soziale Spannungen“. Ist die „Mentalität“ als Analysekriterium seit den 1960er-Jahren in der Tat zurückgetreten, hat sich der Blick auf die rechtlichen Voraussetzungen für Verfolgungen als ausgesprochen fruchtbar erwiesen, auch für deren ma. Frühphase. Alles in allem bleiben also nach der Lektüre dieses Buchs gemischte Eindrücke.

Georg Modestin