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Sanctitas principum. Sancti reges, duces, episcopi et abbates Europae Centralis (saec. XI–XIII). The Sanctity of the Leaders. Holy Kings, Princes, Bishops, and Abbots from Central Europe (Eleventh to Thirteenth Centuries), ed. by Gábor Klaniczay / Ildikó Csepregi (Central European Medieval Texts 7) Budapest / New York / Vienna 2022, Central European Univ. Press, VIII u. 684 S., ISBN 978-615-5225-28-4, EUR 119. – Die Schriftenreihe gibt seit Mitte des 90er Jahre bilinguale Texte zur Geschichte des ma. Ostmitteleuropa heraus. Die in Zusammenarbeit von ungarischen, US-amerikanischen und anderen Gelehrten zum Druck gebrachten Texte zeugen davon, dass die nach der politischen Wende in Budapest gegründete Central European Univ. mindestens eines ihrer Gründungsziele erreicht hat: Die zum Verständnis der frühen Geschichte Ungarns, Polens und Böhmens und Ostmitteleuropas im weiteren Sinn unentbehrlichsten Texte sind damit in lateinischer Sprache, mit englischer Übersetzung und mit Literaturhinweisen dem englischsprachigen Fachpublikum verfügbar. Der Band ist die Fortsetzung des 2013 erschienenen sechsten Bandes der Reihe, in dem ein Teil der frühesten hagiographischen Darstellungen (u. a. die Adalbertviten und manche der Wenzel-Legenden) zum Druck kam. Hier nun findet man die später, zwischen dem 11. und dem 13. Jh., entstandenen Texte. Eine chronologische Überlappung zum vorhergehenden Band ergibt sich daraus, dass die Legende der 1083 heiliggesprochenen Eremiten von Zobor schon in Bd. 6 enthalten ist. Die einzelnen Texte von Bd. 7 wurden vorwiegend von Cristian Gaşpar übersetzt. Ausnahmen bilden die dritte Stephanslegende, an deren Übersetzung außer Gaşpar auch Nora Berend beteiligt war, die größere Gerhardslegende, deren Übersetzung von János M. Bak besorgt wurde, sowie die Vita des heiligen Johannes von Trogir, die von Marina Miladinov übersetzt wurde. Insgesamt enthält der Band zehn Texte. Die drei Stephansviten, die zwei Gerhardsviten, die Vita des heiligen Emmerich sowie die Ladislausvita repräsentieren das Königreich Ungarn und die Arpadendynastie, der heilige Prokop ist mit Böhmen und den Přemysliden verbunden, der heilige Stanislaus mit Polen und den Piasten, der heilige Bischof Johannes von Trogir repräsentiert Kroatien, die letzten Jahre der alten kroatischen Dynastie sowie die Arpaden, die Dalmatien im Jahr 1105 endgültig eroberten. Alle diese Heiligen sind in irgendeiner Weise mit den Herrscherdynastien verbunden, in deren Reich die Werke entstanden. Dennoch gibt es enorme Unterschiede zwischen den Protagonisten: Manche waren selbst Herrscher, während andere in unterschiedlicher Beziehung zu den Königs- bzw. Fürstenhäusern standen. Im Königreich Ungarn entfaltete sich ein dynastischer Heiligenkult, der den heiligen Stephan, den Gründer der christlichen Monarchie, seinen Sohn Emmerich sowie den 1077–1095 regierenden Ladislaus umfasst, der übrigens die Heiligsprechung König Stephans und seines Sohnes im Jahr 1083 veranlasste und durchführen ließ. Die Einleitung zu den Stephansviten wurde von Gábor Thoroczkay (S. 21–38) verfasst. Besonders interessant ist die dritte, von Bischof Hartwig von Györ verfasste Lebensbeschreibung des Königs. Der gelehrte Bischof, der die Legende im Auftrag König Kolomans anfertigte, kompilierte nämlich die Texte der beiden früheren Legenden (Vita maior, Vita minor), ergänzt um eigene Berichte, die das politische Programm Kolomans stützen und Beiträge zum Investiturstreit an der Wende zum 12. Jh. liefern sollten. Die Ladislausvita, zu der Gábor Klaniczay (S. 407–414) die Einleitung verfasst hat, ist aus anderen Gründen von Interesse: Die Anfänge der Verehrung des Königs müssen noch in seine Regierungszeit, also um die Wende zum 12. Jh., zurückgehen, während seine Heiligsprechung auf die Anregung König Bélas III. (1172–1196) erfolgte und seine Vita entweder noch unter Béla III. oder zu Beginn des 13. Jh. verfasst wurde. Eine der wichtigsten Fragen, die der Text aufwirft, ist, ob einzelne Passagen einer früheren Chronik entnommen wurden, die dann in die große chronikalische Kompilation des 14. Jh. eingegangen ist, oder ob sie einen authentischen Teil der Vita bilden und aus dieser in die Kompilation gelangten. Zweifelsohne der merkwürdigste Text unter den Herrscherviten ist die Legende des heiligen Emmerich, zu deren Edition eine Begleitstudie von Gábor Bradács / Dorottya Uhrin (S. 179–190) vorgelegt wird. Emmerich war der letzte überlebende Sohn König Stephans, der nach ihm den Thron erben sollte, was sein früher Tod im Jahr 1030 verhinderte. In seiner Vita wird vor allem seine Keuschheit hervorgehoben. Der heilige Prokop ist einer der Landespatrone von Böhmen, er ist der Gründer des Benediktinerklosters Sázava, in dem bis zur Mitte des 11. Jh. die slawische Liturgie gepflegt wurde. Die Begleitstudie zu seiner Vita minor, die auf eine Urfassung in altslavischer Sprache zurückgeht, hat der jüngst verstorbene Prager Archäologe und Historiker Petr Sommer (S. 339–358) vorgelegt. Die hagiographische Literatur des 12. Jh. repräsentiert die Vita Bischof Johanns von Trogir; die Einleitung wurde von Ana Marinković (S. 447–459) besorgt. Der in der zweiten Hälfte des 11. Jh. tätige Bischof ist der Schutzpatron der Stadt Trogir. Die Vita beschreibt die Belagerung und Besatzung von Trogir durch König Koloman den Bücherfreund aus dalmatischer Sicht und hebt hervor, wie der Bischof die Zerstörung der Stadt verhindern konnte. In der zweiten Hälfte des 13. Jh. entstanden die zwei Lebensbeschreibungen des Märtyrerbischofs Stanislaus von Krakau. Der auf den Befehl von König Bolesław II. dem Kühnen im Jahr 1079 hingerichtete Bischof wurde 1253 von Papst Innocenz IV. kanonisiert, seine Viten sollen von Vincenz von Kielce verfasst worden sein. Die beiden Lebensbeschreibungen spiegeln das politische Klima der zweiten Hälfte des 13. Jh. in Polen wider, indem der Zerfall der frühen Piastenmonarchie und das Scheitern der Wiedervereinigung der piastischen Herzogtümer mit der Ermordung des Bischofs in Verbindung gebracht werden. Die Begleitstudie wird von Stanislava Kuzmová (S. 515–530) vorgelegt. Bischof Gerhard von Csanád war einer der noch von König Stephan dem Heiligen eingesetzten Bischöfe. Seine Legenda minor kann um die Wende zum 12. oder Mitte des 12. Jh. entstanden sein, die hsl. Überlieferung beginnt im 13. Jh. Die Legenda maior ist erst seit dem 14. Jh. hsl. überliefert, sie muss jedoch mit einer verlorenen Urvita verwandt sein. Der 1046 während der heidnischen Reaktion ermordete Bischof Gerhard war auch der Erzieher des Königssohns Herzog Emmerich. Das Buch enthält eine ausführliche Bibliographie sowie eine Liste der früheren Editionen und Übersetzungen aller Texte.

Daniel Bagi