Yaniv Fox, The Merovingians in Historiographical Tradition. From the Sixth to the Sixteenth Centuries, Cambridge 2024, Cambridge Univ. Press, 331 S., ISBN 978-1-009-28501-8, GBP 85. – Bekanntlich haben die Merowinger fast dreihundert Jahre lang als Könige die Geschicke des Frankenreichs bestimmt, und so musste sich im Grunde jeder, der sich später in der Rückschau mit dieser Epoche beschäftigt hat, mehr oder weniger intensiv mit ihnen auseinandersetzen, das gilt bis heute. Ebenso klar ist, dass jeder Geschichtsschreiber bzw. Historiker seine eigene Sicht auf die damaligen Personen und Vorgänge entwickelt hat, und auch das gilt bis heute. Ziel dieses Buchs ist es, bei einigen ausgewählten Autoren zu ergründen, wie diese Sicht auf die Merowinger beschaffen war, und warum sie gerade so und nicht anders beschaffen war. Der erste Hauptteil (S. 27–119) widmet sich dem historiographischen Bild von den Anfängen der Dynastie; hier kommen Zeitgenossen wie Gregor von Tours und (Pseudo-)Fredegar zur Sprache, noch ausführlicher jedoch der Mönch Primat von St-Denis im 13. Jh. und der französische Hofhistoriograph Paolo Emilio († 1529). Der zweite Hauptteil (S. 121–222) gilt den mittleren Merowingern, besonders dem „guten“ König Dagobert I. († 638/39). Vor allem die Gesta Dagoberti aus St-Denis haben im 9. Jh. das Bild dieser Zeit geprägt, teils durch ihre positive Darstellung des Königs selbst (der sich dem Kloster gegenüber als recht spendabel erwiesen hatte), noch mehr aber durch ihre düstere Zeichnung der folgenden Zeit (in der die Könige weniger großzügig gewesen waren). Die auf spezifische St-Deniser Interessen zurückgehende Vorstellung, dass gerade der Tod Dagoberts ein entscheidender Wendepunkt der fränkischen Geschichte gewesen sei, wurde später vielfach übernommen, etwa auch von Regino, der sogar so weit ging, die folgenden Merowingerkönige vollständig zu ignorieren. Im dritten Hauptteil (S. 223–271) geht es um ebendiese letzten Merowinger, genauer gesagt um die Vita Sigiberts III. († 656) aus der Feder seines Namensvetters Sigebert von Gembloux († 1112) und um die Geschichte der französischen Könige des jüdischen Gelehrten Joseph ha-Kohen († ca. 1578). Beiläufig ist in allen drei Teilen auch noch von weiteren Autoren die Rede, die aber, wie sich herausstellt, zu den Merowingern eher wenig zu sagen haben, darunter Paulus Diaconus, Frechulf von Lisieux und Ado von Vienne. Eine vollständige Aufarbeitung des historiographischen Materials zur Merowingerzeit hat der Vf. verständlicherweise nicht angestrebt, und es ergibt sich auch kein rechter Zusammenhang zwischen den einzelnen Teilen des Buchs. Sein Verdienst ist es vielmehr, die Aufmerksamkeit auch einmal auf weniger prominente Texte gelenkt zu haben, die jedoch hinsichtlich des immer wieder neu geformten Bildes von der merowingischen Epoche besonders aussagekräftig sind.
Roman Deutinger