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Jacqueline M. Burek, Literary Variety and the Writing of History in Britains’s Long Twelfth Century (Writing History in the Middle Ages 10) Woodbridge 2023, York Medieval Press, 294 S., ISBN 978-1-914049-10-1, GBP 85. – Der Chronistik im normannischen England des 12. Jh. gilt schon lange ein großes Interesse der Forschung, auch weil die historiographische Produktion als besonders elaboriert und die Geschichtsschreiber als ausnehmend reflektiert gewürdigt werden. Dieser Einschätzung schließt sich B. an, die in ihrer Studie die These verfolgt, dass sich die Autoren der historiographischen Hauptwerke an varietas-Theorien aus der antiken und ma. Rhetorik orientiert und die Vielfalt literarischer Formen, eine stilistische Abwechslung und formale Variation bewusst zur Formulierung politischer Standpunkte eingesetzt hätten. B. legt in einem einführenden Kapitel zu varietas-Theorien in der antiken und ma. Rhetorik die Grundlagen für ihre Untersuchung, bevor sie in fünf Analyseabschnitten zunächst drei lateinische Prosachroniken des 12. Jh. und anschließend zwei mittelenglische Verschroniken des 13. bzw. 14. Jh. in den Blick nimmt. Im Zentrum stehen Interpretationen derjenigen Passagen in den Geschichtswerken, in welchen die Frühgeschichte Englands dargestellt sowie gentile bzw. nationale Konzepte debattiert werden. Hierbei stellt B. immer wieder Bezüge zur französischen, nicht aber zur mitteleuropäischen Historiographie des 12. Jh. her. Das Schlusskapitel verzichtet auf eine konzise Zusammenführung der Ergebnisse und bietet vor allem einen Ausblick ins Spät-MA. In das Personen-, Orts und Sachregister wurden auch zentrale rhetorische Fachbegriffe aufgenommen. In ihren Fallstudien kann B. überzeugend zeigen, dass William of Malmesbury stark von den Vorgaben der Rhetorik der klassischen Antike beeinflusst war, wohingegen Henry of Huntingdon sich vor allem an christlich-theologischen Konzepten orientierte. Geoffrey of Monmouth reflektierte als erster englischer Historiograph die Gefahren und Grenzen der Anwendung von varietas-Theorien in der Geschichtsschreibung. In Layamons Brut wurden die rhetorischen Praktiken Williams und Henrys auf die Volkssprache übertragen, und Robert Mannyng kombinierte in seiner Geschichte Englands alle älteren Strategien. Während die Beispiele vor allem des 12. Jh. eindrücklich belegen, dass von den Historiographen die Vielfalt von Stilen und Textformen für spezifische politische Aussagen genutzt wurde und dass sie so in ihren Werken Rhetorik und Politik miteinander verbanden, finden sich hingegen kaum Belege für B.s These, dass die breit angelegten varietas-Theorien der antiken Rhetorik im 12. Jh. eine Verengung und Präzisierung erfahren hätten, denn die untersuchten Chroniken weisen vielmehr eine große Vielfalt auf – eine varietas.

Andreas Bihrer