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Digitale Vorab-Veröffentlichung der Rezension aus DA 80,2 (2024) *.

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Susana Guijarro González / Leticia Agúndez San Miguel / Iván García Izquierdo (coordinatores), La construcción del espacio diocesano en la Europa medieval: actores, dinámicas y conflictos (Estudios históricos La Olmeda. Colleción Piedras Angulares) Somonte-Cenero / Gijón 2023, Trea, 380 S., ISBN 978–84-19525–71‑0, EUR 25. – Der Sammelband bietet die Beiträge von 17 spanischen und ausländischen Mediävisten zu Fragen der räumlichen Konstruktion von Diözesen im MA. Insbesondere im iberischen Raum steht das Paradigma einer ma. Kirche, die dem territorialen Erbe der Spätantike verpflichtet ist und der Kontinuität Vorrang einräumt, auf dem Prüfstand. Dafür wird eher gefragt, inwieweit auch kirchliche Räume sozial konstruiert waren und von sozialen und politischen Entwicklungen abhingen. Inwieweit war die Pfarrstruktur eine ma. Neubildung? Wie stellt sich die Hierarchisierung von Gotteshäusern dar? Um diese Prozesse zu konkretisieren, bietet der Band Einzelstudien, vor allem zu 13 spanischen Diözesen, vergleichend aber auch zu anderen Ländern, aus Deutschland werden Köln und Merseburg ins Zentrum gerückt. Die Beiträge sind in drei Abteilungen angeordnet. In der ersten Abteilung zur territorialen und institutionellen Konsolidierung der Diözesen spielen Konflikte eine wichtige Rolle. Pablo Abella Villar (S. 23–43) thematisiert die Streitigkeiten zwischen Burgos und der bedeutenden Zisterzienserabtei Huelgas, Anna Anisimova (S. 45–58) beleuchtet die Schwierigkeiten bei der Entwicklung städtischer Pfarreien in den Städten des ma. England im 12. und 13. Jh., bei denen auch die Feudalherren eine wichtige Rolle spielten. Daniel Berger (S. 59–80) gibt einen Überblick über Territorialisierungsprozesse der Erzdiözese Köln bis zum 13. Jh. Der Primatialsitz Toledo stritt im 13. und 14. Jh. mit dem Stadtrat, wie Jorge Fernández Toribio (S. 81–99) erläutert, während Juan José García González / José Ángel Lecanda Esteban (S. 101–125) mit Blick auf die Diözese Oca in die Spätantike und das frühe MA zurückführen. An diesem Beispiel wird sichtbar, wie in fünf Phasen vom 7. bis 11. Jh. ein spätantiker Bischofssitz in Zeiten der Reconquista schließlich unterging. Dabei werden Fragen der Grenzen von Navarra und Kastilien sowie der Tarraconensis und der späteren Metropole Toledo deutlich. Die zweite Abteilung widmet sich in fünf Beiträgen verstärkt Personen und deren Netzwerken. Dabei stehen vor allem Bischöfe und Kathedralkapitel im Vordergrund. Julia Barrow (S. 173–189) skizziert an englischen Beispielen die Mobilität von Bischöfen und hochgestellten Klerikern vom 12. bis zum 13. Jh., die sukzessive zunahm und das Verwaltungshandeln weiterbeförderte. Die Beispiele reisender Kleriker im königlichen Umfeld verdeutlichen, wie sehr auch im hohen MA Reisen der Karriere dienlich waren. Albert Cassanyes Roig (S. 191–208) widmet sich den Kanonikerprovisionen in der Kathedrale von Mallorca seit deren Wiedererrichtung 1230. Diego González Nieto (S. 209–226) richtet den Blick auf einen Bischof von Ávila des 15. Jh., Martín de Vilches (1456–1459), und dessen Konflikt mit dem Domkapitel, der die zahlreichen Facetten der Interessen und Kompetenzabgrenzungen erläutert. Auch Javier E. Jiménez López de Eguileta (S. 227–261) beschäftigt sich mit dem 15. Jh. und fragt danach, wie sich städtische Eliten in die personellen Netzwerke der Kollegiatskirche San Salvador de Jerez de la Frontera integrierten. Eher systematisch untersucht Kyle C. Lincoln (S. 263–281) Fragen der Reformbestrebungen und insbesondere drei Disziplinarfälle an der Wende vom 12. zum 13. Jh., welche die Diözesen Osma, Toledo und Sigüenza betreffen. Die dritte Abteilung widmet sich Fragen von Kunst und Kultur. Den Auftakt macht Diego Belmonte Fernández (S. 285–304) mit einer Studie zum Ms. 166 der Bibl.-Archivo Capitular von Córdoba, das Statuten bis 1430 aufzeichnet und die Funktion der Zweisprachigkeit sowie der Schriftlichkeit als Herrschaftsmittel illustrieren kann. Daniela Marcu-Istrate (S. 305–325) lenkt den Blick nach Transsylvanien und untersucht die Errichtung der Kathedrale von Alba Iulia unter dem Aspekt der ungarischen Expansion, die diesen Raum seit den Zeiten Stephans I. (1000–1038) ins Visier genommen hatte. Sonia Serna Serna (S. 327–347) erläutert die Entwicklung des Kathedralarchivs von Burgos und die entsprechenden Hilfsmittel wie Chartulare und Inventare. Andrea Vanina Neyra (S. 349–361) stellt Merseburg und Thietmars Chronik in den Vordergrund, macht mit der deutschsprachigen Forschung vertraut und deutet das historiographische Werk auch als Mittel, um (bischöfliche) Autorität zu legitimieren. Schließlich beschäftigt sich Burton Westermeier (S. 363–378) mit dem Tumbillo de Concordia aus dem ausgehenden 13. Jh. in Santiago de Compostela und bringt die innere Ordnung dieser Urkundensammlung in einen Zusammenhang mit der historischen Entwicklung der Zeit. Der Band bietet einen guten Überblick über die Rolle des Konflikts als dynamisches Element im Prozess der Konstitution kirchlicher Räume. Er berücksichtigt dabei die Strategien der Bischöfe und des Domklerus sowie einiger Laien als entscheidender Akteure und unterstreicht die Bedeutung der Praktiken der schriftlichen und materiellen Kultur, derer sich diese Akteure bedienten, um ihre Ziele zu erreichen. Unter „Europa medieval“ ist aber vor allem Spanien zu verstehen, obwohl auch Deutschland, England, Rumänien und Polen, um die heutigen Länder zu nennen, mit Beiträgen vergleichend vertreten sind. Hervorzuheben ist die gute Dokumentation des Forschungsstands (so nutzt z. B. Lincoln die Materialbasis der neuen Edition Papsturkunden in Spanien 3, 2020, vgl. DA 79, 252f.). Die Einleitung fasst die Beiträge pointiert zusammen, während die vergleichenden Schlussfolgerungen künftiger Forschung überlassen bleiben, die aber die zahlreichen Einzelbeobachtungen – trotz des Fehlens eines Registers – aufgreifen sollte.

Klaus Herbers