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Æthelflæd, Lady of the Mercians, and Women in Tenth-Century England, ed. by Rebecca Hardie (Publications of the Richard Rawlinson Center) Berlin / Boston 2023, De Gruyter, XII u. 306 S., 1 Tabelle, 11 Abb., ISBN 978-1-5015-1761-7, EUR 129. – Æthelflæd von Mercien ist nicht mehr nur in England eine gefeierte historische Persönlichkeit, sondern hat durch populärwissenschaftliche Werke zu Königinnen und nicht zuletzt die Serienverfilmung „Das letzte Königreich“ mittlerweile auch in Deutschland Bekanntheit erlangt. In der Geschichtswissenschaft wurde Æthelflæd meist im Zusammenhang mit ihrem Vater, König Alfred dem Großen von Wessex, ihrem Bruder, Eduard dem Älteren, sowie ihrem Gatten, Æthelred von Mercia, betrachtet. Sie diente auch immer wieder als Beispiel für Fragen nach weiblicher Herrschaft und der Relevanz der Kategorie Geschlecht. Ihr tausendster Todestag wurde 2018 auf dem International Medieval Congress in Kalamazoo mit verschiedenen Vorträgen begangen, aus denen dieser Sammelband hervorgegangen ist. In der Einleitung erläutert H. (S. 1–27) das Ziel, Æthelflæd in einen über den Königshof hinausgehenden Kontext zu stellen. Der Blick richtet sich auf lokale und informelle Formationen weiblicher Gemeinschaften und Beziehungen. Ein intersektionaler Ansatz soll dabei helfen, das Zusammenspiel der Kategorie Geschlecht mit weiteren Kategorien sozialer Ungleichheit wie Alter, sozialem Status und race herauszustellen. Der erste Teil beschäftigt sich mit Æthelflæds Leben und Regierung. Martin Carver (S. 31–57) zeichnet aus archäologischer Perspektive ein Bild der materiellen Kultur und der römischen Einflüsse in Æthelflæds Wirkungskreis. Michael Wood (S. 59–88) liefert mit einer kommentierten Edition des Mercian Register, der wichtigsten Quelle zu Æthelflæds Leben, eine Grundlage für weitere Forschungen. Alice Hicklin (S. 89–112) ordnet Æthelflæds politische und militärische Aktivitäten mit Hilfe von historiographischen Berichten über andere mächtige Frauen des 10. Jh. ein. Wie sie kommt auch Andrew Rabin (S. 113–136), auf der Grundlage urkundlicher Quellen, zu dem Schluss, Æthelflæd habe sich im Rahmen ihrer Geschlechterrolle bewegt, wenngleich ihr herrschaftliches Handeln in ihrer Zeit unerreicht blieb. Der zweite Teil fragt nach geschlechtsspezifischen Lebensumständen, Aufgaben und Möglichkeiten von Frauen im England des 10. Jh. Nicole Marafioti (S. 139–164) betrachtet die Strafwirkung der Bestattung in ungeweihter Erde, Debbie Banham (S. 165–186) die Bedeutung von Geschlecht und sozialem Status bei der Ernährungsarbeit und Christine Voth (S. 187–223) Besitz und Nutzung von Büchern. Die letzten drei Aufsätze betrachten die literarische Darstellung weiblicher Macht: Stacey S. Klein (S. 225–251) liest die Erzählung von der ‘bösen Königin Eadburh’ nicht nur als Aussage über genderspezifische Machtformen, sondern auch über den Umgang mit kultureller Diversität. Aus literaturwissenschaftlicher Sicht zeigen Victoria E. H. Walker (S. 253–276), wie die Darstellung der Königin Semiramis im altenglischen Orosius die Entmachtung von Æthelflæds Tochter legitimieren konnte, und Clare A. Lees (S. 277–301) die Formen und politischen Implikationen der Identifikation mit Æthelflæd seit dem 19. Jh. Ein Namen-, Orts-, Quellen- und Sachregister beschließt den Band. Die Aufsätze werden durch die Einleitung gut zusammengebunden. Die Sonderstellung Æthelflæds wird in unterschiedlichen Schattierungen relativiert und teils als literarische Fiktion zur Vermittlung kultureller, sozialer oder politischer Ideen entlarvt. Eine besondere Rolle spielt dabei die Frage nach der kulturellen, historischen und politischen Identität der Einheiten, die im 10. Jh. zum englischen Königreich werden sollten. Die weitgehende Vernachlässigung nicht-englischsprachiger Forschung zu Ungleichheiten im MA ist das einzige kleine Monitum.

Anne Foerster