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Digitale Vorab-Veröffentlichung der Rezension aus DA 80,2 (2024) *.

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Lukas Clemens / Marzena Kessler (Hg.), Stadtrekonstruktionen von Trier im Mittelalter, Wiesbaden 2023, Dr. Ludwig Reichert, 64 S., 29 Abb., 3 Beilagen, ISBN 978-3-7520-0734-3, EUR 16,90. – Wie sah eine Stadt im MA aus? Diese Frage beschäftigt die Kunst- und Architekturgeschichte sowie die historische Sozial- und Kulturwissenschaft, aber auch die recht junge Popular History. Die Basis dafür sind exakte Rekonstruktionen, die dennoch aus dem Leben gegriffen wirken sollen. Diese Vorgaben für Trier erfüllt die Publikation bestens. Sie besteht aus drei Kapiteln, letztlich eigenständigen Aufsätzen, die mit drei Rekonstruktionszeichnungen des Luxemburger Künstlers Nic Herber einhergehen. Der erste Beitrag von C., Trier um 1120. Prolegomena zum Versuch einer Stadtrekonstruktion (S. 9–24), ist ein Wiederabdruck von 1998. Seinerzeit machte er Furore: Die barocke Stadtgestalt war durch das Modell im Stadtmuseum ebenso bekannt wie das römische Augusta Treverorum, doch seit diesem Moment gab es auch einen Blick in die Übergangszeit. In schon bestehenden Zeichnungen ist es schwer, neue Ergebnisse zu visualisieren; zumindest im Text hätte man Formulierungen wie „die erst vor Kurzem gemachte Entdeckung“ (S. 18) mit Bezug auf 1995 streichen können. Andererseits ist zu konstatieren, dass kein Forschungsbeitrag der letzten 25 Jahre die Rekonstruktion grundlegend auf den Kopf stellt. Schade ist es trotzdem, dass seither erschienene Literatur nicht nachgetragen wurde. Das zweite Kapitel, erneut von C. (S. 25–34), behandelt den ma. Wohnturm „Jerusalem“ und fällt damit ein wenig aus der Bandstruktur, da es nicht die Stadtentwicklung im Fokus hat, sondern das Fallbeispiel eines Einzelgebäudes. Der dritte Text von C. / K. (S. 35–55) widmet sich wiederum der Stadtgestalt, nun um 1430. In der methodischen Einleitung (S. 35–38) fällt nun der aktualisierte Forschungsstand auf, der zu leichten Unstimmigkeiten mit dem ersten Kapitel führt. Nichtsdestoweniger ist der Text mitsamt der Zeichnung eine perfekte Ergänzung zum ersten Plan. Über zeichnerische Details wird man streiten können. Ob dieses oder jenes Gehöft genau so aussah, oder welche antike Ruine noch wie hoch (Barbarathermen?) aufragte, ist letztlich ziemlich irrelevant. Die Visualisierungen von H. beeindrucken nach wie vor durch ihre Detailfülle und vermitteln anschaulich den angemessenen Eindruck. Nach der Pandemie, die immerhin die Digitalisierung der Wissenschaft vorangetrieben hat, darf man indes überlegen, ob es einer derartigen traditionellen Rekonstruktion noch bedarf. Das lesenswerte Vorwort von Marcus Reuter (S. 7f.) stellt eben diese Sinnfrage. Schließlich haben in den letzten Jahren digitale 3D-Visualisierungen – z.B. von Nürnberg oder Freiburg (S. 38) – das Feld maßgeblich dominiert. Sie sind de facto den Zeichnungen vielfach überlegen. Aber ist die Publikation damit altmodisch oder gar unnötig? Hier liefert R. gute Argumente für das Analoge – vorrangig die Wartungsfreiheit und die sichere Informationsarchivierung. Und in der Tat ist die Datenmigration von 3D-Anwendungen, bei denen keine Software-Übereinkunft vorliegt und die Dokumentation oft fehlt, – noch – ein veritables Problem. Ein weiterer Punkt sei ergänzt: Der Band richtet sich nicht allein an die Wissenschaft, sondern gleichermaßen an Touristen und Besucher, die zuhause als Erinnerung lieber ein Buch im Schrank stehen haben wollen – und kein Lesezeichen in ihrem Browser.

Stefan Heinz