Networks of bishops, networks of texts. Manuscripts, legal cultures, tools of government in Carolingian Italy at the time of Lothar I, ed. by Gianmarco De Angelis / Francesco Veronese (Reti Medievali E-Book 41 – Ruling in hard times 1) Firenze 2022, Firenze Univ. Press, 220 S., Abb., ISBN 978-88-5518-622-3 (print), EUR 29,90. – Der aufschlussreiche Band ist der erste Teil einer Sammlung von Arbeiten im Rahmen des italienischen Progetto di Rilevante Interesse Nazionale „Ruling in hard times. Patterns of Power and Practices of Government in the Making of Carolingian Italy“. Er enthält bis auf zwei Ausnahmen alle Vorträge, die 2021 auf der gleichnamigen Konferenz an der Univ. Padua gehalten wurden. Wie die Einleitung der Hg. zeigt, versuchen die Vf., den italienischen Episkopat der Karolingerzeit – vor allem der Zeit Lothars I. – und seine Hss. mit neuen Entwicklungen innerhalb der Karolingerforschung in Verbindung zu bringen. Die einzelnen Beiträge behandeln, jeweils für ein italienisches Bischofszentrum, bestimmte Textgattungen wie Historiographie (Maddalena Betti, S. 181–198, zu Rom; Edward M. Schoolman, S. 111–129, zu Ravenna), Urkunden (Edoardo Manarini, S. 131–155, zu Modena; Paolo Tomei, S. 157–180, zu Lucca), Kirchenrecht (Michael Heil, S. 91–110, zu Aquileia und Grado; Miriam Rita Tessera, S. 33–65, zu Mailand) sowie Liturgie und Hagiographie (Francesco Veronese, S. 67–90, zu Verona), um zu zeigen, wie Lothars oft außer-italienische Bischöfe die lokalen Traditionen ihrer Sitze mit reformatorischen Impulsen von jenseits der Alpen verbanden. Das Zusammenspiel dieser beiden Interessen führte zu regionalspezifischen Sammlungen und Verwendungen von Texten und Hss. Laura Pani (S. 13–31) zeigt zu Beginn in einem warnenden Kapitel, dass es auf der Ebene der Schriften und der Schreibpraktiken in Lothars Italien eine Vielzahl gleichzeitiger Entwicklungen gab, die sowohl von lokaler Expertise als auch von überregionalen Impulsen und Forderungen abhingen. So zeigen die Vf. gemeinsam detailliert, wie sich das Wechselspiel zwischen „karolingischen“ Reforminitiativen und regionalen Interessen und Traditionen in Italien unterschiedlich auswirkte, je nachdem, wo, wann, und auf welche Textsorten man schaut. Steffen Patzold (S. 199–208) vertritt in seinem Schlusswort die Ansicht, dass sich die Vf. mehr damit beschäftigt haben, wie Bischöfe die „soft power“ nutzten, die sie durch ihre Beherrschung von Texten und Diskursen ausüben konnten, als mit der „hard power“, die früher Gegenstand wissenschaftlicher Untersuchungen war. Die offenen Fragen, die P. am Ende aufwirft (können wir wissen, ob die „soft power“ des frühen MA überhaupt eine Wirkung hatte und wie „soft power“ und „hard power“ zusammenwirkten?), sind Fragen, die ganz allgemein weitere Überlegungen von Früh-MA-Forschern im Licht dieses Bandes verdienen. Ich möchte eine letzte Frage hinzufügen: In welchem Verhältnis stehen die Ergebnisse des Bandes zu neueren Arbeiten, die die Idee einer karolingischen Reform an sich kritisieren? Die Oberbegriffe Reform und Correctio spielen hier noch immer eine große Rolle, und eine gründliche Auseinandersetzung mit der gegen sie vorgebrachten Kritik wäre für die Zukunft zu begrüßen, zumal die Vf. ihr Augenmerk in ähnlicher Weise auf die Bedeutung regionaler Variation und Differenzierung legen.
Jan van Doren