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Digitale Vorab-Veröffentlichung der Rezension aus DA 80,2 (2024) *.

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Tobias Boestad, Pour le profit du commun marchand. La genèse de la Hanse (XIIe siècle – milieu du XIVe siècle) (Hautes études médiévales et modernes 116) Genève 2022, Droz, 832 S., 20 Karten, ISBN 978-2-600-05753-0, EUR 92. – Für die Geschichtsschreibung der hansischen Frühzeit (wie auch der hansischen Spätzeit, könnte der Rez. hinzufügen) ist zweifellos die Art und Weise, wie der Begriff „Hanse“ definiert wird, ausschlaggebend. In seiner hier veröffentlichten Diss., die von J.-M. Moeglin (Paris) und K. Villads Jensen (Stockholm) betreut worden ist, folgt der Vf. dezidiert der von A. von Brandt formulierten Auffassung der Hanse als „Interessengemeinschaft“ – zum „Nutzen“ des gemeinen Kaufmanns, heißt ja B.s Buch – sowie einer Betrachtung des hansischen Rechts „neben, zwischen und über“ den Regelungen der jeweiligen beteiligten Städte (W. Ebel, A. Cordes). Aus dieser Positionierung ergibt sich logischerweise eine Kritik an den vor allem im Rahmen wirtschaftsgeschichtlicher Darstellungen benutzten Modellen, die aus der Institutionenökonomie übernommen worden sind, jedoch vor dem Hintergrund von spärlichen, verstreuten, ja lückenhaften Quellen weder überprüfbar noch aufschlussreich erscheinen. Rechtliche Dokumente – besser gesagt handelt es sich oft um Fragmente – stehen logischerweise im Vordergrund der Untersuchung. Die Vielfalt der benutzten Quellen, gedruckter wie ungedruckter, ermöglicht es dem Vf., die Frühzeit der Hanse aus verschiedensten geographischen Gesichtspunkten zu studieren und dem Leser ein Ubiquitätsgefühl zu vermitteln. Daraus – sowie aus der stilistischen Qualität des Textes – ergibt sich der Eindruck, eine Darstellung aus erster Hand und gleichzeitig eine Synthese in den Händen zu haben, ein Eindruck, den die verschiedenen Karten und Pläne am Ende des Buchs noch bekräftigen. Im Grunde handelt es sich hier um eine chronologisch organisierte Geschichte der hansischen Frühzeit, die die Erscheinung der Hanse als Diskursfigur, ja sogar als diskursiven Bezugspunkt beleuchtet – eine Geschichte, die sicher mit der Entwicklung kaufmännischer Genossenschaften in Verbindung steht, aber nicht mit ihr gleichzusetzen ist. Von den ersten nachweisbaren deutschen Siedlungen im Baltikum zwischen dem 12. und der Mitte des 14. Jh. bis zur Geburt der „Deutschen Hanse“ verfolgt sie keine lineare Entwicklung – bekanntlich findet in den Jahren um 1280 ein erster „hansischer“ Moment statt. Die Betrachtung des Rechts als „Praxis und eines von mehreren Mitteln, Konflikte zu bewältigen und zu lösen“ (A. Cordes, Ph. Höhn, A. Krey), ermöglicht es B., frei von jeglichem Determinismus die hansische Frühzeit als europäisches Phänomen zu beleuchten. Diesem klaren, anregenden und dennoch nuanciert geschriebenen Buch ist eine möglichst breite Rezeption zu wünschen.

Vincent Demont