Monastères, convergences, échanges et confrontations dans l’Ouest de l’Europe au Moyen Âge. Actes du Colloque Anciennes Abbayes de Bretagne, Université de Toronto 5–6 mai, 2016, éd par Claude Lucette Evans / Kenneth Paul Evans (Collection Haut Moyen Âge 45) Turnhout 2023, Brepols, 387 S., Abb., ISBN 978-2-503-59985-4, EUR 85. – Die seit 2014 bestehende Kooperation einer kanadischen und einer französischen Universität in dem Projekt Anciennes Abbayes de Bretagne / Ancient Abbeys of Brittany trägt erste Früchte. Ziel des Projekts ist es, sowohl Quellen als auch Untersuchungen zur monastischen Welt im (nördlichen) Westeuropa, vor allem der Bretagne, zur Verfügung zu stellen. Dieses Vorhaben ist aller Ehren wert, weist die Bretagne in ihrer kirchlich-monastischen Struktur doch einige Besonderheiten gegenüber dem Rest Europas auf. Zwar ist viel über das spezifisch „Keltische“ der irischen und bretonischen Kirche(n) nachgedacht und geschrieben worden; in welchem Umfang sich dieses Keltische aber von Entwicklungen im Rest Europas abkoppelte, ist insbesondere auf der Ebene der Einzelklöster lediglich in Ansätzen untersucht. Wenige Fakten scheinen gesichert, so etwa der im Vergleich zu anderen Regionen Kontinentaleuropas sehr viel langsamere Übergang vom Mündlichen zum Schriftlichen oder die extreme Kleinteiligkeit der monastischen Landschaft. Der Tagungsband umfasst 13 Beiträge, die drei großen Themenbereichen zugeordnet sind: I. Monastères bretons; II. Tensions internes dans le monde monastique de l’Ouest; III. Échanges, influences, convergences – das Spektrum bewegt sich also vom Speziellen hin zum Allgemeinen. Zeitlich steht vor allem das hohe MA im Zentrum, was aber gelegentliche Ausflüge ins Früh- und Spät-MA nicht ausschließt. Ausdrückliches Ziel ist es, Beziehungen der (vor allem benediktinischen) Klöster ad intra ebenso wie ad extra zu behandeln. Angesprochen sind damit also monastische Netzwerke, für die Bibliotheken und der Austausch von Hss. ebenso aussagekräftig sind wie die Zirkulation von Verbrüderungsurkunden oder Totenroteln, auf die etwa Esther Dehoux (S. 267–295) in einem ausgesprochen lesenswerten Beitrag eingeht. Die Analysen zeigen, dass die Bretagne keine von der kirchlich-monastischen Entwicklung andernorts abgetrennte Insel war, sondern im Gegenteil Austauschbeziehungen auf vielen Ebenen nachweisbar sind. Caroline Brett (S. 27–53) skizziert in einem einleitenden Beitrag die Forschungsdiskussion. Der Blick auf die einschlägigen hagiographischen Dossiers spricht hinsichtlich von Vernetzungsaspekten Bände, worauf Joseph-Claude Poulin (S. 55–85) in seiner Analyse der Viten der Heiligen Malo (Alet), Guénolé (Landévennec) und Conwoion (Redon) hinweist. Die monastische Landschaft der Bretagne ist durch sehr viele kleine Kommunitäten gekennzeichnet, über deren Geschichte aufgrund von Quellenmangel und schwankender Terminologie in vielen Fällen nur annäherungsweise valide Aussagen möglich sind. Nicht immer ist dabei klar, ob es sich tatsächlich um Klöster oder doch „nur“ um Pfarreien handelte – Ausnahmen sind die fünf „großen“ Klöster Dol, Alet/Saint-Méen, Landévennec, Saint-Pol-de-Léon und Redon. Und nicht alles, was sich hinter der Bezeichnung „Verbrüderung“ verbirgt, war tatsächlich auch auf Dauer angelegt. Dem Sinnspruch Homo homini lupus, clericus clerico lupior, monachus monacho lupissimus wohnte eine tiefe Wahrheit inne, die sich immer wieder auch im agonalen Mit- und Gegeneinander von Institutionen zeigte, die doch eigentlich qua Verbrüderungsurkunden miteinander verbunden waren. Joëlle Quaghebeur (S. 105–134) demonstriert dies souverän anhand der Abteien Sainte-Croix in Quimperlé und Saint-Sauveur in Redon und weist nach, dass vor allem territoriale Streitigkeiten (also handfeste Realpolitik) jede noch so gut gemeinte Verbrüderungsabsicht obsolet werden lassen konnten. Julien Bachelier (S. 135–160) liefert mit den Konfliktbeziehungen zwischen (dem landfremden) Marmoutier und Redon ein weiteres aussagekräftiges Beispiel. Jean-Michel Picard (S. 211–228) zeigt, wie problematisch es ist, mit Blick auf Irland und die Bretagne von einer „keltischen Kirche“ zu sprechen, die, auf Unabhängigkeit bedacht, ihre Eigenheiten gegenüber Rom gepflegt und verteidigt hätte. Untersucht wird dies anhand von Doppelklöstern, Institutionen, in denen weibliche und männliche Gemeinschaften räumlich eng verbunden und Mönchspriester für die spirituell-sakramentale Versorgung der Frauen zuständig waren. Die Vorstellung, Frauen hätten hier zumindest bis zur gregorianischen Reform eine sehr viel bedeutendere Rolle gespielt, als ihnen dies im Kontext der römischen Kirche andernorts vergönnt war, wird – völlig zu Recht – ins Reich der Legende verwiesen. Den Blick extra muros richtet Catherine Vincent (S. 231–247) in ihrem Beitrag über drei nicht in der Bretagne, aber immerhin im „Westen“ gelegene Klöster, die noch im späten MA Ziel konsiderabler Pilgerströme waren: Mont-Saint-Michel, Saint-Martin in Tours und Saint-Martial in Limoges. Herausragend der Beitrag von Marielle Lamy (S. 249–266), die sich mit Predigten benediktinischer und zisterziensischer Provenienz zum Benediktsfest beschäftigt. Das Quellencorpus mag bescheiden wirken – sechs Predigten von vier Autoren auf benediktinischer, 30 Predigten von acht Autoren auf zisterziensischer Seite –, doch lassen sich aus ihm wichtige Aussagen hinsichtlich des Stellenwerts von Verrechtlichung und Disziplin gewinnen. Ein lesenswerter Sammelband, der die Relevanz der bretonischen Klosterlandschaft nicht nur für den engeren Bereich der Ordensforschung überzeugend vor Augen führt.
Ralf Lützelschwab