Neue Rahmungen – Die Anfänge Freiburgs im europäischen Kontext. Archäologische und historische Perspektiven, hg. von Sebastian Brather / Jürgen Dendorfer (Archäologie und Geschichte 23) Ostfildern 2023, Jan Thorbecke Verlag, 482 S., Abb., ISBN 978-3-7995-7373-3, EUR 68. – Jubiläen geben häufig Anlässe zu wissenschaftlichen Veranstaltungen und Publikationen. Problematisch daran ist, dass ein Impuls von außerhalb der Wissenschaften einwirkt und kein genuines Forschungsinteresse und kein aktuelles Forschungsdesiderat vorausgesetzt werden müssen. Andererseits hat die Wissenschaft die Aufgabe, die Erwartungen einer breiten Öffentlichkeit zu erfüllen, ihr Informationen bereitzustellen. Diesen Voraussetzungen und Bedingungen unterliegt auch der Sammelband, der das Ergebnis eines geplanten, aber wegen der Pandemie-Schutzbestimmungen nicht realisierten Kongresses im Jahr 2020, zum 900-jährigen Stadtgründungsjubiläum, ist, so dass die Vf. ihre Beiträge ohne den direkten Austausch formulieren mussten. Trotz dieses Hindernisses ist ein kohärentes und hinsichtlich der Absichten konsequent durchgeführtes Werk entstanden. In einigen Beiträgen wird der Begriff „Stadtgründung“ kritisiert, eine damit evozierte Einrichtung ex nihilo verneint und auf archäologisch fassbare Vorgängersiedlungen in Freiburg und in den anderen untersuchten Städten verwiesen. Letztlich scheint aber ein intentionaler Gründungsakt doch plausibel zu sein, selbst wenn – wie in den untersuchten italienischen Beispielen Lodi und Crema – ein fiktiv gesetzter Neuanfang im Spiel war. Textquellen, die die Initiative des Landesherrn und die Kooperation der ersten Bewohner darstellen, sind als Belege der Gründung bedeutsam, gerade weil mit dem Gründungsakt die Einrichtung eines neuen Rechts verbunden ist. Der apodiktischen Aussage von Martin Möhle (S. 287–297), dass die Autokephalie der ma. Stadt, wie von Max Weber postuliert, sich nicht habe bestätigen lassen, widerspricht doch eindeutig der Befund, dass besonders in Norditalien, aber auch in Deutschland und in anderen Ländern und Regionen die Stadtgemeinden selbst Recht schufen, Statuten erließen und als politische Akteure aktiv waren. Auch archäologische Quellen belegen nicht einen ausschließlich gestreckten und kontinuierlichen Verlauf von Stadtentstehung; dazu sind die in diesem Band zusammengestellten Belege doch zu eindeutig, die von Etappen, planvollen Eingriffen und intensivierten Phasen der Bautätigkeit Zeugnis ablegen. Die Auswertung der historischen und archäologischen Quellen führt zu konvergenten Ergebnissen, was aufzuzeigen dem Band gelungen ist, selbst wenn Reste von Siedlungen vor der Stadtgründung nachgewiesen werden können, die aber die Tatsache des Beginns der Alterität, die intentional mit der Stadtgründung verbunden ist, nicht widerlegen. In dem Rahmen hätte, gerade weil auch das östliche Mitteleuropa erfasst worden ist, eine Untersuchung des urbanen Charakters der sogenannten slawischen Burgstädte, die häufig Kristallisationskerne einer hochma. Stadtentwicklung darstellen, stärker berücksichtigt werden können. Die Situation der westlichen Schweiz, in der die Dynastie von Savoyen als Stadtgründer aktiv war, bietet sich als Konstrast zu den Freiburger Verhältnissen an, jedoch enthält der ihr gewidmete Beitrag von Peter Niederhäuser (S. 205–216) wenig Neues, entzieht vielmehr einer historischen Analyse die Grundlage, wenn man lesen kann, dass Modelle von Stadtgründungen „in der Luft lagen“ (S. 216) oder die Entstehung der schweizerischen Eidgenossenschaft auf einem Zufall beruhe. Dezidiert als Zusammenfassung der Sekundärliteratur ist der Beitrag zu den Städten an der Maas (tatsächlich im Hochstift Lüttich) von Michel Pauly (S. 217–244) vorgestellt. Die Ausweitung der Thematik in den unterschiedlichen Beiträgen bezieht planvolles Handeln auch auf die Gestaltung des Straßennetzes und der Plätze oder deren Fehlen, auf die Architektur von Häusern und Häusergruppen bis hin zur Organisation des Bergbaus mit den damit verbundenen baulichen Maßnahmen. Wenig Beachtung finden hingegen Kirchen und deren Zentralitätsfunktionen; nicht berücksichtigt werden auch kirchliche und städtische Zeremonien, die die Bevölkerung und ebenso Auswärtige in auch räumlich angebundene Aktionen zusammenführten und die Planung der Stadt erfahrbar machten. Der Beitrag von Martina Stercken (S. 413–430) ist als Kontrast gegenüber dieser Leerstelle besonders wichtig, weil er die Symbolisierung von Städten analysiert. Es wäre indes müßig und unangemessen, auf fehlende Aspekte hinzuweisen, etwa auf den der Städte im nahen Elsass, da auch dieser Sammelband keine europäische Totalgeschichte des Städtewesens anbieten kann und will. Hingegen ist es hier eindrücklich gelungen, durch die Erweiterung der Themen in räumlicher und sachlicher Hinsicht einem gut erforschten Untersuchungsgebiet neue wichtige Erkenntnisse hinzuzufügen, die möglich gemacht wurden, indem ein enges Untersuchungsfeld gesprengt und der Stellenwert der Stadtentstehung von Freiburg für die ma. europäischen Städte detailreich und genau herausgearbeitet wurde. Ein wichtiges und grundlegendes Werk zur Geschichte der Stadt Freiburg und zur Geschichte der Städte in Europa während des hohen und häufig auch des späten MA liegt nun vor.
Hans-Joachim Schmidt
(Rezensiert von: Hans-Joachim Schmidt)