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François Bougard, Le royaume d’Italie de Louis II à Otton Ier (840–968). Histoire politique (Italia Regia 5) Leipzig 2022, Eudora, 376 S., 11 Abb., 8 Tab., 5 Karten, ISBN 978-3-938533-80-2, EUR 99. – Es handelt sich um die mit großer Spannung erwartete Druckfassung der 2003(!) eingereichten Habil.-Schrift (Mémoire d’habilitation à diriger des recherches) des Vf. Trotz – oder vielleicht sogar wegen – der langen Überarbeitungszeit befindet sich das Buch auf dem aktuellsten Forschungsstand und greift nicht nur auf die älteren Arbeiten B.s sowie der übrigen Hg. der Reihe (Antonella Ghignoli, Wolfgang Huschner) zurück, sondern auch auf die Ergebnisse der jüngsten Forschungen von Edoardo Manarini, Alessia Rovelli, Paolo Tomei, Giacomo Vignodelli und Bernhard Zeller – um nur diejenigen zu erwähnen, deren Beiträge zum Thema in der Einleitung selbst hervorgehoben werden (S. 9). Das Interesse des Vf. richtet sich auf die nach wie vor stiefmütterlich behandelte politische Geschichte des italienischen Königtums zwischen dem Herrschaftsbeginn Ludwigs II. (840), der als erster wirklicher „italienischer“ bzw. in Norditalien ansässiger Herrscher seit der Langobardenzeit gelten darf, und der Herrschaftsübernahme und -verfestigung Ottos I. (962–968), die dieser politischen Eigenständigkeit auf der Halbinsel ein Ende brachte. Die Arbeit gliedert sich in sieben Kapitel ungefähr gleicher Länge, die der Herrschaftszeit Ludwigs II. (840–875) (Kap. 1), der späten Karolingerzeit (875–888) (Kap. 2), der darauffolgenden Zeit der Auseinandersetzungen zwischen den Thronprätendenten Berengar I., Wido und Lambert von Spoleto sowie Arnolf von Kärnten (888–898) (Kap. 3), der „Stunde Berengars“ („le moment de Bérenger“) (899–924/26) (Kap. 4), der daran anknüpfenden Epoche der provenzalischen Herrschaft Hugos und Lothars (926–950) (Kap. 5), der Herrschaftszeit Berengars II. sowie den Versuchen Ottos I., sich auf der Apenninenhalbinsel zu behaupten (950–962/68) (Kap. 6), und letztlich den allgemeinen Entwicklungslinien des Zeitalters (Kap. 7) gewidmet sind. Eine nützliche Auflistung des in Verbindung mit dem Herrscherhof stehenden Personals über den ganzen Zeitraum (Anhang 1) sowie acht Stammbäume der wichtigsten Adels- und Königsfamilien (Anhang 2) folgen; ein Quellen- sowie ein Personen- und Ortsregister schließen den Band ab. Der Vf. vertritt keine große These über das Wesen des italienischen Königtums, und der große Gewinn der Arbeit liegt vor allem in der reichen Fülle von scharfsinnigen Einzelbeobachtungen, sei es zur Einführung der neuen Bleibulle Arnolfs von Kärnten 896 (S. 111), zur Bedeutung der Beziehungen Berengars I. und Ludwigs des Blinden zu Agiltrude, der ehemaligen Frau Widos von Spoleto (S. 121f., 126f.), oder zur vergleichbaren Rolle der Äbtissin Bertha von S. Sisto, der Tochter Berengars I., am Anfang der Regierungen Rudolfs II. von Burgund, Hugos von der Provence und Berengars II. (S. 159f., 164, 212). Einige Leitthemen und allgemeine Entwicklungen lassen sich ebenfalls feststellen, die im letzten Kapitel prägnant zusammengefasst sind: die verschiedenen, fast widersprüchlichen Traditionen von Thronbesteigung und -folge im regnum Italicum, die durch die enge Verbindung des Königtums zum Kaisertum (und damit zur Oberherrschaft über Rom) sowie manchmal auch zu anderen benachbarten Reichen (Burgund, dem Ostfränkischen Reich) bedingt waren; die Rolle von Königinnen und die deutliche Aufwertung ihres consortium regni, die schon unter Ludwig II. einsetzte und lange danach weiterwirkte; die Entstehung einer weitgehend (wenn auch nicht völlig) neuen Führungselite und die Entwicklung von neuartigen Möglichkeiten ihrer Einflussnahme auf den Herrscher (nicht zuletzt durch die Rolle des consiliarius regis) und die sich langsam, aber nachhaltig verändernden materiellen Ressourcen des Königtums. An manchen Stellen wünschte sich der Rez. etwas mehr Details, beispielsweise wenn der Vf. das bisher als echt geltende und anscheinend im Original erhaltene D O I. 137 lapidar für nicht über jeden Verdacht erhaben erklärt, ohne seine Bedenken zu begründen („l’acte en faveur de l’archiprêtre Eistulfus n’est pas exempt de soupçon“, S. 211 Anm. 22). Das Fazit muss dennoch ausgesprochen positiv ausfallen. Es handelt sich um eine gründliche, klug und klar geschriebene Arbeit aus der Feder eines der besten Kenner der Zeit, die sich rasch als Standardwerk etablieren wird. Man kann sich beim Vf. für ein so ertragreiches und anspruchsvolles Buch nur herzlich bedanken.

Levi Roach

(Rezensiert von: Levi Roach)