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The Thorney Liber Vitae. London, British Library, Additional MS 40,000, fol. 1–12r. Edition, Facsimile and Study, ed. by Lynda Rollason, Woodbridge 2015, The Boydell Press, XXXII u. 317 S., 36 Taf., ISBN 978-1-78327-010-1, GBP 95. – Die ungewöhnlich lange Liste der Beiträger, von denen nicht weniger als drei bei Erscheinen des Bandes bereits verstorben waren, deutet es an: „The genesis of the present volume is complex“ (S. XXIX), wie die Hg. gleich zu Beginn des Vorworts anmerkt, doch hat sich dies durchaus nicht in der Qualität des Bandes niedergeschlagen – im Gegenteil. Libri Vitae wie auch andere dem Bereich des liturgischen Memoria-Wesens zuzurechnende Quellen stellen hohe Ansprüche an ihre Editoren: Ein zeitweise wirres, oftmals über Jahrhunderte sukzessive entstandenes Schriftbild, hier und da gepaart mit einer uneindeutigen Syntax, zahlreiche Eigennamen, bei deren Entzifferung nicht immer lexikalische Hilfe bereitsteht, wie auch die Tatsache, dass die Interpretation der Quelle oder einzelner ihrer Teile nahezu vollständig von der chronologisch-paläographischen Scheidung der Hände abhängt, sind nur einige Specimina, die die Edition dieser Quellengattung so schwierig wie lohnend machen. Im Fall des vorliegenden Liber Vitae aus Thorney – „one of only three libri vitae surviving from medieval England“ (S. XXIX) – muss sie als herausragend bezeichnet werden. Im Anschluss an eine Einleitung, die die Genese des Bandes rekapituliert (S. XXIXf.), folgt eine Handreichung für die gewinnbringende Nutzung der Edition und der verschiedenen ihr beigegebenen Hilfsmittel (Using the Edition and Linguistic, Prosopographical and Manuscript Commentaries and the Indexes, S. XXXIf.), auf die wiederum drei größere und – wie auch die späteren Teile des Buchs – ihrerseits in zahlreiche Unterkapitel gegliederte und von unterschiedlichen Vf. stammende „Introductory Essays“ folgen (Lynda Rollason, Historical Introduction, S. 1–19; Richard Gameson, The Manuscript Context: The Thorney Gospels, S. 20–52, sowie Olof von Feilitzen / John Insley, The Personal Names of the Liber Vitae of Thorney Abbey: An Introduction to the Onomasticon, S. 53–75). Sie lassen mit Blick auf das jeweils im Titel Genannte keinen Wunsch offen, zumal dann, wenn Fragestellungen berührt werden, die für Quellen kontinentaleuropäischer Provenienz in aller Regel eine nur untergeordnete Rolle spielen – etwa die nach keltischen oder skandinavischen Namen. Die Edition selbst durch Cecily Clark / Neil Ker, überprüft und kommentiert durch Richard Gameson / Lynda Rollason (S. 77–114), bietet den Namenbestand nach „stints“ (S. 79), also „Schichten“ von Einträgen, geordnet dar, verfügt über einen Kommentar, der überwiegend Details der textlichen Disposition versammelt, und lässt sich anhand der (mehrheitlich farbigen) Abbildungen, die am Ende beigegeben sind, kontrollieren. Von großer Akribie und höchstem Nutzen sind die anschließenden „Commentaries“ – was mehr als bescheiden formuliert ist. Richard Gameson, The Thorney Liber Vitae: Planning, Production and Palaeography (S. 115–124), leitet sie ein und wird gefolgt von Olof von Feilitzen / John Insley, The Onomasticon (S. 125–210), über keltische, kontinentalgermanische, altenglische di- und monothematische, lateinische, griechische, biblische, skandinavische und „unassigned“ Personennamen, auf die wiederum Katharine S. B. Keats-Rohan, The Prosopography (S. 211–283), folgt. Ebenso wie die zwei Indices (Manuscript Forms and Lemmata, S. 285–296, und ein weiterer, der vom Namenbestand des ersten auf die anderen Teile des Bandes verweist und diesen damit erst eigentlich erschließt, S. 297–317), gehören diese Ausführungen zum Gelehrtesten, was man in der Edition eines Liber Vitae wird erwarten dürfen. Per aspera: Der Band ist auf den ersten Griff nicht einfach zu benutzen. Wer seine Anlage verstanden hat, wird kaum Besseres finden. Hg. und Beiträgern ist zu gratulieren. 

Francesco Roberg

(Rezensiert von: Trier)