Norbert Benecke (Hg.), Leben in der mittelalterlichen Stadt. Neue archäobiologische Forschungen. Workshop, 29. November 2019, Berlin (Archäometrische Studien 2) Wiesbaden 2023, Reichert Verlag, 260 S., Abb., ISBN 978-3-7520-0726-8, EUR 98. – Der renommierte Berliner Archäozoologe gibt die Beiträge eines Workshops heraus, der im November 2019 stattfand. Ein Schwerpunkt ist durch die aktive Stadtarchäologie in Berlin vorgegeben. Michèle Dinies / Viola Podsiadlowski / Katharina Feike / Reinder Neef, Erste Bürger Berlins und Cöllns: viel Obst, aber kein Pfeffer. Archäobotanische Untersuchungen an spätmittelalterlichen und frühneuzeitlichen Siedlungsresten im Zentrum Berlins (S. 1–40, 23 qualitätvolle Farbtafeln), bilanzieren die Ergebnisse archäobotanischer Forschung und greifen in die frühe Neuzeit aus. Man lebte vom Anbau der Getreidesorten Roggen, Gerste, Weizen, Hafer und Hirse, von Kulturobst (Äpfel, Birnen, Sauerkirschen, Pflaumen und Trauben) sowie primär wohl zusätzlich gesammelten Früchten wie Him-, Brom-, Walderd- und Kratzbeeren. Die Vf. betonen das Fehlen von Luxusgütern, aber immerhin die Feige fand als Import ihren Weg an die Spree. – Der Hg., Archäozoologische Untersuchungen zur Nutzung von Tieren an Fundmaterialien aus den mittelalterlichen Städten Berlin-Cölln und Copnic (Köpenick) (S. 43–63), betrachtet Fundmaterial des 13.–15. Jh. Man ernährte sich vor allem von Rind, Schwein, Schaf und Geflügel. Ansatzweise ergeben sich soziale Unterschiede in den Ernährungsgewohnheiten. Im ausgehenden MA findet sich generell eine Zunahme des Konsums von Huhn und Gans. Eine gewisse Rolle spielte auch die Versorgung mit Fisch, den lokale Fischer besorgten. Nachweise von Hering und Dorsch zeigen ab dem 13. Jh. aber auch Fernhandel an, den die Hanse garantierte. Das mitbetrachtete Fundmaterial von der Burg Köpenick zeigt ein anderes Spektrum mit intensiver Jagd durch die landesherrliche Elite. – Peggy Morgenstern, Koscher essen in Berlin. Zum archäozoologischen Nachweis religiöser Gruppen in der mittelalterlichen Stadt (S. 65–74), betrachtet das Fundmaterial vom Großen Jüdenhof in Alt-Berlin. Dort wird das Quartier der bis 1510 ansässigen jüdischen Gemeinde vermutet. Während ein Nachweis von Mikwe und Synagoge im Areal bislang fehlt und über die Ausgrabungen eine Unterscheidung von jüdischen und christlichen Haushalten kaum funktioniert, erscheint die Sprache der Ernährung hier eindeutig. Wie in jüdischen Vierteln üblich, dominieren Rind und Schaf/Ziege. Zudem ist das Fehlen von Knochen der Hintergliedmaßen aussagekräftig, da diese in aschkenasischer Tradition als nicht koscher gelten. In Verbindung mit einem einheitlichen Schlachtschema und einem geringen Anteil von Schweineknochen gelingt so ein überzeugender Nachweis für die ma. Judengemeinde in Berlin. – Daniel Makowiecki, Archaeozoology on Animals in Social Space of Medieval Poznań (S. 75–90), stellt den Forschungsstand zum ma. Posen dar. Hier lässt sich eine deutliche Veränderung der Wirtschaftsweise und Ernährung nach der Stadtgründung um die Mitte des 13. Jh. herausarbeiten. Wildtierknochen stammen im Grunde ausschließlich von der Dominsel mit dem bischöflichen Haushalt und der Stadtburg. – Ptolemaios Dimitrios Paxinos, Archäozoologie der Abfallschächte. Ergebnisse aus der Ausgrabung „Marienhof“, München (S. 91–110), widmet sich dem Inhalt zweier spätma. Abfallschächte. Auffallend ist der relativ hohe Anteil vom Haushuhn, das gern verzehrt wurde und „eher ein Ausdruck des Luxus“ gewesen sein soll (S. 97). Gegessen wurden neben Rind, Schaf/Ziege und Schwein auch Fisch, Flusskrebs und Frosch. Auch Ratten sind als städtische Begleitfauna im Spät-MA, aber auch im 17. Jh. wieder nachweisbar. Überreste von Hund und Katze weisen Schnittspuren auf, die daran denken lassen, dass Fell, Fleisch und Fett der Tiere verwertet wurden. Wie eine kranke und nachweislich tiermedizinisch versorgte Kuh in den Schacht 5 gelangte, bleibt ein Rätsel. – Der Versorgung spätma. und frühneuzeitlicher Städte mit Stockfisch geht Hans Christian Küchelmann, „Men schall ock berger, yslander, und hidlander vysch, elcken under syne namen unde vor syne werde, vorkopen“. Zur hansischen Versorgung mittelalterlicher und frühneuzeitlicher Städte mit Stockfisch (S. 111–158), nach. – Susanne Jahns, Pollenanalytische Untersuchungen am Marienberg in der Altstadt von Brandenburg an der Havel (S. 159–180), macht die Kulturlandschaft in ihrer Entwicklung seit dem Neolithikum in einem Pollenprofil greifbar. Im slawischen Früh-MA wurde in der Umgebung auf gewissem Niveau Ackerbau betrieben. Im Hoch-MA ist Rodungstätigkeit nachweisbar, aber auch der dann lange betriebene Anbau von Weinreben und Walnussbäumen. – Bettina Jungklaus, Leben in der mittelalterlichen Mark Brandenburg. Aspekte der Zahngesundheit in Stadt und Land (S. 181–191), hat konkret etwa 6000 Zähne zur Verfügung, an denen – anders als erwartet – die Stadtbevölkerung prinzipiell keine höhere Kariesbelastung aufweist als Bewohner im ländlichen Raum. Etwa ein Drittel der Menschen war von Karies befallen. Deutlicher waren aber soziale Unterschiede innerhalb der städtischen Bevölkerung. Besonders belastet waren Hospitalbewohner, vermutlich durch ihre vorwiegend auf Getreide basierende Kost. Mit hohem Fleischkonsum dürfte die Kariesbelastung gesunken sein. – Das Vorkommen von Schaftsplittern von Rinderlangknochen stellt ein bislang ungeklärtes Rätsel archäozoologischer Forschung dar, wie aus der exkursartigen Betrachtung von Günther Karl Kunst / Nisa Iduna Kirchengast / Herbert Böhm (S. 193–210) hervorgeht. – Der Schlussbeitrag von Julia Heeb, Häuser, Tiere und Menschen. Probleme und Chancen einer rekonstruierten Vergangenheit im Museumsdorf Düppel (S. 211–226), führt weg vom Thema des Bandes. – Ausgehend von stadtarchäologischen Untersuchungen werden hier Möglichkeiten aufgezeigt, die sich durch moderne zoologische, botanische und anthropologische Methoden ergeben. Daraus können sich neue und detailreiche Erkenntnisse zum urbanen Leben, insbesondere im Hinblick auf Umwelt-, Sozial- und Wirtschaftsgeschichte, Handel, Handwerk, Ernährung, Demographie und Krankheitsbelastung ergeben, die die schriftliche Überlieferung bereichern. Die Rückkopplung der naturwissenschaftlichen Erkenntnisse an das kulturgeschichtlich unzweifelhaft relevante Bild vom Leben in der ma. Stadt ist leider nicht in allen Beiträgen gleichermaßen zu finden.
Bernd Päffgen
(Rezensiert von: Bernd Päffgen)