Christian Loefke (Bearb.), Das mittelalterliche Totenbuch der Mühlhäuser Franziskaner. Edition und Kommentar (Veröffentlichungen der Historischen Kommission für Thüringen, Große Reihe 21) Wien / Köln / Weimar 2019, Böhlau, LI u. 194 S., Abb., ISBN 978-3-412-22532-2, EUR 50. – Dieses Buch stammt von einem Vf., der viel Energie und Hingabe in eine Sache investiert hat, der er sichtlich nicht gewachsen war. Das beginnt bereits mit der Kenntnis der Literatur. Ob nun Schmid, Althoff, Hallinger oder Lemaître: Wer auch immer seit dem Zweiten Weltkrieg Wichtiges, Grundlegendes oder Wegweisendes in Sachen „liturgische Memoria“ beigesteuert hat, fehlt im Quellen- und Literaturverzeichnis (S. 153–163); das Verzeichnis der Abkürzungen und Siglen (S. LI) besticht durch Auflösung von „NN“ mit „Name unbekannt“ und von „OESA“ mit „Augustinereremiten“. Der erste von insgesamt acht als „Einleitung“ deklarierten Abschnitten ist eine knappe „Geschichte des Mühlhäuser Franziskanerklosters“ (S. XI–XVIII), die ganz überwiegend eine Literaturarbeit darstellt, während die nächsten Abschnitte auf knapp drei Druckseiten Überlegungen zu „Totenbüchern in der Sächsischen Ordensprovinz“ (S. XVIII–XX) anstellen, „Heilige und andere Persönlichkeiten (!) im Totenbuch“ (S. XX–XXIV) in den Blick nehmen oder aber die „innere Struktur des Konvents und Wirkungsbereich“ (S. XXIV–XXVII). Diese Teile, allesamt viel zu knapp, steuern hier und da interessante Details bei, aber auch manch sprachlich-orthographische Schwäche: Auf S. XVII kommt „P. Matthias Keiser … zum Predigen“, während S. XVIII eine „Zunahme der Zumemorierenden“ konstatiert wird. Der sich anschließende Abschnitt „Zur zeitlichen Einordnung des Totenbuchs und der Einträge“ (S. XXVII–XXXI) erörtert einige datierte Einträge in Abgleich mit einigen (dem Vf. offenbar erreichbaren) Quellen und spart dabei nicht an Kritik gegenüber Richard Scheithauer, der sich in den zwanziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts mehrfach mit dem Totenbuch befasst hatte. Sehen wir uns an, wie L. die Sache angeht. Das Kapitel setzt ein mit einer steilen These: „Gleichzeitig war der Beschreibstoff (Pergament), der ja auch auf Haltbarkeit ausgelegt sein musste, sehr teuer, was zu relativ kleinen Büchern führte“ (S. XXVII). Den „Versuch Scheithauers“, Schreiberhände zu identifizieren und diesen die einzelnen Einträge zuzuweisen, hält L. für „problematisch“ (beide S. XXIX) – und verzichtet daher gleich ganz auf jede Art von Erkenntnisgewinn qua Paläographie, die aber natürlich gerade bei Memorialquellen, die über viele Jahrzehnte, oftmals mehrere Jahrhunderte entstanden, essentiell ist. Wieviele Schreiber aus welchen Jahrhunderten welche Einträge vermerkten – Fehlanzeige. Man erfährt stattdessen: „Das Mühlhäuser Totenbuch, obwohl von ca. 1300 bis 1465 genutzt, gehört wohl noch zu einer frühen Schicht von Totenbüchern, die, je nach Erstanlage, vermutlich von ca. 1260 bis etwa zur Mitte des 15. Jahrhunderts geführt wurden“ (S. XXVIII). Das Kapitel schließt mit der Nennung einiger (in der Tat) durch Scheithauer verlesener Einträge – davon kann sich wohl kaum ein Editor gänzlich freisprechen. Sie betreffen in der Hauptsache einzelne Buchstaben, etwa Hemburgis statt korrekt Helnburgis. Einträge wie Sequendi i[n]du[l]genti[as] fratrum (S. 133, Auflösung der Kürzungen durch L.) zeugen dagegen von nicht vorhandenen Lateinkenntnissen („es folgen“ daher auch nicht „die Ablässe der Brüder“, S. 133 Anm. 423). Philologische Schmerzen bereiten überdies vielfach benutzte Singular-Ausdrücke wie „auf den 5. Idus“, „am 5. Idus“, „in 5. Idus“ (alle S. XXIII). Ohnehin ist Komputistik L.s Sache nicht. Auf diesem Gebiet verblüfft er mit der Einsicht, dass „sowohl der 9. November als auch der 9. Dezember ... auf den 5. Idus“ (S. XXIII) fallen. Der nächste Abschnitt nimmt den „Syllabus indulgentiarum“ in den Blick, „eine registerartige Zusammenstellung verschiedener Ablässe, die nach Stichpunkten“ (lies: Betreffen und/oder Empfängern) „geordnet wurden“. Hier schimmern die theologischen Kenntnisse L.s durch: „Dabei wurden die von den verschiedenen Päpsten und Bischöfen zu den jeweiligen Stichpunkten vergebenen Ablässe in der Anzahl der erlassenen Tage, Karenen und Jahre jeweils addiert, um einen möglichst großen sündenfreien Zeitraum präsentieren zu können“ (S. XXXI). Nur wer „Sünde“ und „Sündenstrafe“ verwechselt, kann auch folgende Anmerkung verfassen, in der dargelegt wird, was es mit dem Wort „Syllabus“ streng philologisch gesehen auf sich hat: „Syllabus, m., Pl. Syllabi, ist ein pseudo-lateinischer (ursprünglich griechischer, aus συλλαμβάνω, ich nehme, stelle zusammen) Ausdruck für Register, Verzeichnis, Aufzählung, Auszug, Zusammenfassung“. Weiteres wird man in dem philologischen Referenzwerk nachzusehen haben, das L. zitiert, der „wikipedia 22.9.2017“ (ebd. Anm. 110, wo übrigens Stand 15.3.2023 diese „Erklärung“ größtenteils in identischem Wortlaut auftaucht, nur dass hier die angebotenen Übersetzungen von συλλαμβάνω korrekt in Anführungszeichen erscheinen). „Zur Edition“ (S. XXXVIII–XL): Das Kapitel nennt zunächst allerlei Details, die dort nicht hingehören, darunter Kodikologisches, oder, wie L. formuliert, die Tatsache, dass „die Seiten des Totenbuches … für die Aufnahme des Kalendariums einheitlich vorformatiert worden“ sind (S. XXXVIII), während einige Einträge durch „Löschung“ (S. XXXIX) nicht mehr lesbar sind: Computerus ante portas! „Eigene Ergänzungen stehen in eckigen [ ] Klammern“ (S. XXXIXf.). Auf welcher textlichen Grundlage sie vorgenommen worden sind, erfahren wir nicht. Dann wird es wieder philologisch: „Bei der Frage, ob bei einem Sepultus-Eintrag statt obiit eher obitus zu lesen wäre, ist auf den jeweiligen Kasus des Eintrages zu verweisen: im Nominativ ist ein führendes ‘o’ in obiit, im Genitiv in obitus aufzulösen bzw. im Fall, dass das ‘o’ fehlt, Memoria bzw. Anniversarius zu ergänzen“ (S. XL). Jenseits des philologischen Honigs, den man aus diesen Sätzen saugen kann, kann von letzterem natürlich nicht die Rede sein. Es zeigt vielmehr, dass L. gar nicht verstanden hat, dass Editionen nicht zum Ziel haben, einen Text so zu drucken, wie man so meint, oder wie er vielleicht verständlicher oder schön wäre. Es folgt ein achtes Kapitel, eine „Liste nachweisbarer Konventualen“, das der Edition zwar vorgeschaltet ist, gleichwohl aber „Anhang“ genannt wird (S. XL–L). Das alles lässt erahnen, von welcher Qualität die Edition des Totenbuchs (S. 3–134) und des Syllabus (S. 137–151) ist. Sie bietet den Text der Quellen samt umfangreichem Apparat, in dem zahlreiche Einträge auch übersetzt werden. Welche übersetzt werden und welche nicht, erfahren wir nicht. Vielleicht die schwierigen? Jedenfalls wissen wir nun: Requiescant in pace .. Amen .. .. .. bedeutet: „Sie mögen in Frieden ruhen. Amen!“ (S. 151 mit Anm. 50), während die insgesamt acht Punkte auf der Zeile nicht kommentiert werden. Ich breche ab. Wer das Totenbuch benutzen will, tue das auf der Grundlage der beigegebenen Farbphotographien, die den Band in toto abbilden (der vordere Deckel firmiert hier als „fol. 0r“ [unpaginierter „Bildteil“, 1. Abbildung]). Man muss es deutlich formulieren: Editionen sind keine Sache für Interessierte!
Francesco Roberg
(Rezensiert von: Francesco Roberg)