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Digitale Vorab-Veröffentlichung der Rezension aus DA 80,1 (2024) *.

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Ines Wessels, Zum Bischof werden im Mittelalter. Eine praxistheoretische Analyse vormoderner Selbstbildung (Praktiken der Subjektivierung 16) Bielefeld 2020, transcript verlag, 291 S., ISBN 978-3-8376-5037-2, EUR 60. – Der Titel dieser von Rudolf Holbach an der Univ. Oldenburg betreuten Diss. verweist auf ein sprichwörtlich sehr weites Feld und weckt Erwartungen, die eine Diss. gar nicht erfüllen kann. Präziser war der Untertitel der eingereichten Dissertationsfassung, nämlich „Selbst-Bildung(en) mittelalterlicher Bischöfe im Spiegel von Chroniken des 13. bis 15. Jahrhunderts“. Der hohe theoretische Anspruch und die thematische Zuspitzung erklären sich durch die Entstehung der Arbeit im Rahmen eines DFG-finanzierten Graduiertenkollegs über „Selbst-Bildungen. Praktiken der Subjektivierung in historischer und interdisziplinärer Perspektive“. Der theoretische Ansatz wird in der Einleitung breit entfaltet. Anhand ausgewählter Reichsbischöfe des 13.–15. Jh. soll „der Werdungsprozess eines Subjekts … in einer historischen Praxisgegenwart und in unterschiedlichen historischen Sozialbereichen“ (S. 17) untersucht werden. Durchaus anspruchsvoll beabsichtigt die Vf., mit einem praxeologischen Ansatz nach den „Selbst-Bildungen“ der Bischöfe zu fragen, wobei es ihr um „Haltungen und Bewegungen, Gesten und Mimiken“ geht, aber auch um die Interaktion im sozialen Feld, die praktiziert wurde, um „gesellschaftliche Mitspielfähigkeit“ zu demonstrieren (S. 19). Wie gewann man als Bischof, so fragt sie weiter, Anerkennung und „Mitspielfähigkeit“ (ebd.), „welche historischen Vorbilder und Deutungsmuster, Praktiken, Zeichen und Symbole“ wurden aufgegriffen, „um in bestimmten sozialen Settings sich und ihr Amt zu verkörpern?“ Dieser ambitioniert entfaltete Untersuchungsansatz wird dann auf die griffige und tatsächlich eingängige Frage zugespitzt: „Was macht einen Bischof (aus)?“ (S. 21). Das ist nun allerdings eine große Frage, an der sich andere Historiker empirisch mit wesentlich aufwendigeren Untersuchungen abgearbeitet haben, ich erinnere nur an Steffen Patzolds bahnbrechende Untersuchungen über die Bischöfe der Karolingerzeit (vgl. DA 66, 284–286), an Stefanie Haarländers grundlegendes Buch über die ottonisch-frühsalischen Reichsbischöfe (vgl. DA 59, 686f.) oder Rainald Beckers fundierte Fallstudie über den Weg zum Bischofsamt um 1500, untersucht anhand geistlicher Karrieren in der Kirchenprovinz Salzburg. Mit der Frage nach der Selbst-Bildung von Bischöfen im späten MA könnte man ohne Probleme ein ganzes Graduiertenkolleg beschäftigen, und dann möchte man erwarten, dass anhand klug ausgewählter Fallbeispiele (welche Bistümer, welche Bischöfe?) und einer mit Umsicht ermittelten Quellenlage (bischöfliche Selbstzeugnisse und Quellen der bischöflichen Amtspraxis) empirische Ergebnisse erzielt werden, die repräsentativ und vergleichbar sind. Das wird man von der vorliegenden Arbeit nur bedingt sagen können, der es zwar nicht an einem theoretischen Konzept fehlt, wohl aber an einem umfassenden Analyseraster. Zwar wird das Amt des ma. Bischofs (chronologisch geht es freilich nur um das späte MA) nach Aufgabenspektrum, Karrierewegen, Wahlverfahren und Erhebungspraktiken vorgestellt, um dann in drei Untersuchungsgängen nach der Selbst-Bildung zu fragen: Zunächst geht es um die „Formierung in ein bischöfliches Selbst“ (S. 51–85), konkret um Fragen, wie sich Bischöfe in ihrem Amt veränderten und wie sie den Alltag der bischöflichen Amtswaltung einübten. Im nächsten Untersuchungsgang spürt die Vf. „erzählerische Momente bischöflicher Subjekt-Aushandlung“ (S. 87–186) auf, indem sie anhand von Fallbeispielen nach der Landesherrschaft, dem geistlichen Amt und der Rolle des bischöflichen Stadtherrn fragt. Im letzten Untersuchungsgang sind „besondere Herausforderungen im Aushandlungsprozess“ (S. 187–239) das Thema, von der Vf. etwas abstrakt als „Probleme“ und „Störungen“ apostrophiert, also außerordentliche Herausforderungen bischöflicher Amtsführung und ihre Begrenzung durch Überforderung und Versagen. Selbstverständlich sieht die Vf., wie sie in der Schlusszusammenfassung feststellt (S. 241–245), ihren hochambitionierten Untersuchungsansatz bestätigt. Das liegt wohl auch in der Logik von Graduiertenkollegs und anderen Forschungsverbünden, die mit theoretisch elaborierten Untersuchungsansätzen auf historische Quellen losgelassen werden. Dass W. sich nicht mit Quellen auseinandersetzen würde, kann man ihr gewiss nicht zum Vorwurf machen, aber hier werden gleichwohl die engen Grenzen der Arbeit deutlich, denn es sind vor allem einige wenige Zeugnisse spätma. Bistumschronistik aus Bremen, Magdeburg, Merseburg, Münster, Trier und Würzburg, die herangezogen werden. Dass für Würzburg nur die dürftige Bischofschronik des Wilhelm Werner von Zimmern benutzt wurde, nicht aber die viel ertragreichere des Lorenz Fries, spricht Bände. Lediglich für den Augsburger Bischof Friedrich von Zollern (1485–1505) wurde mit seinem Tagebuch ein bischöfliches Selbstzeugnis herangezogen, obwohl es weitere gäbe, beispielsweise aus Brixen, Meißen und Regensburg. Das aber wären die Quellen, die wohl am ehesten an den Prozess der bischöflichen „Selbst-Bildung“ heranführen könnten. Die Bischofschronistik liefert hingegen vor allem Idealbilder, schildert normative Vorstellungen, bleibt aber schon durch ihren zeitlichen Abstand vom tatsächlichen Handeln der bischöflichen Protagonisten losgelöst. Die Vf. hat im Sinne des Oldenburger Graduiertenkollegs ihre Aufgabe gewiss gut gelöst, für die Erforschung des Werdegangs spätma. Bischöfe hingegen bietet sie Fragen, Thesen und Beobachtungen, schafft aber kein Fundament, auf dem man weiterbauen möchte.

Enno Bünz

(Rezensiert von: Enno Bünz)