Briefwechsel der Brüder Jacob und Wilhelm Grimm mit Johann Martin Lappenberg, Friedrich Lisch und Georg Waitz, im Anschluss an Wilhelm Braun und Ludwig Denecke hg. von Berthold Friemel / Vinzenz Hoppe / Philip Kraut / Holger Ehrhardt / Roman Alexander Barton (Briefwechsel der Brüder Jacob und Wilhelm Grimm, Kritische Ausgabe in Einzelbänden 8) Stuttgart 2022, Hirzel, 835 S., Abb., ISBN 978-3-7776-2625-3, EUR 86. – Der achte Band des bei der Arbeitsstelle Grimm-Briefwechsel an der Humboldt-Univ. zu Berlin erarbeiteten und seit 2001 erscheinenden Briefwechsels der Brüder Grimm enthält drei Einzelbriefwechsel mit Historikern. Der Aufbau ist so gestaltet, dass jeder Briefwechsel auch unabhängig von den anderen gelesen und benutzt werden kann, ist doch jedem eine eigene Einleitung vorangestellt; allein das Personenregister (S. 804–830) und das Werkregister der Briefpartner (S. 831–835), das leider das fehlende Sachregister nur zum Teil ersetzen kann, erschließen den Band übergreifend. Hier sollen allein die beiden Briefwechsel mit Historikern vorgestellt werden, die den MGH enger verbunden waren. – Johann Martin Lappenberg war nach seinem Jura-Studium in Berlin und Göttingen ab 1823 Archivar der Hansestadt Hamburg – in diesem Jahr setzt auch der 104 Nummern umfassende Briefwechsel Lappenbergs mit Jacob Grimm ein. Trotz anfänglicher Restriktionen und eines Verbots, etwas aus dem Hamburger Archivbestand zu publizieren, gab Lappenberg 1842 nach dem Vorbild des Frankfurter Urkundenbuchs von Johann Friedrich Böhmer den ersten Band des Hamburger Urkundenbuchs mit den Beständen der Jahre 786–1300 heraus. Den MGH stand Lappenberg seit Beginn des Unternehmens interessiert gegenüber, subskribierte er doch schon den ersten Band 1826 (vgl. SS 1 S. VIII) und übernahm schließlich seit Ende der 1820er Jahre auch Editionsaufträge: Zunächst Helmolds Slavenchronik, die Fortsetzung dieser Chronik durch Arnold von Lübeck sowie die Chronik von Holstein, später kamen auch noch die Chroniken Thietmars von Merseburg und Adams von Bremen dazu. Editionen Lappenbergs sind in MGH SS 3, 7, 16 und 21 publiziert, dazu kommen noch vorbereitende Arbeiten, besonders in Archiv 6 (1831–1836). Die Zusammenarbeit mit den MGH spiegelt sich nahezu vollständig im Briefwechsel wider (S. 76), ist jedoch mangels eines Sachregisters nur über die vorgeschaltete Einleitung gezielt zu ermitteln, denn auch im Werkregister scheinen nicht alle diese Editionen auf. Das Verhältnis zu den Briefpartnern Grimm, vor allem zu Jacob, war eng, dieser war Pate seines zweiten Sohnes (S. 27), und Lappenberg bemühte sich nach der Entlassung der Göttinger Sieben, zu denen die beiden Grimms gehörten, um eine Anstellung für sie in Hamburg (Brief 31 und 32). Neben seinen wissenschaftlichen Beiträgen zählt aus Sicht der MGH wohl als größtes Verdienst Lappenbergs, dass er den Vorschlag Leopold von Rankes unterstützte, den fast 20 Jahre jüngeren, mit Lappenberg befreundeten Georg Waitz als Gehilfen für Georg Heinrich Pertz zu den MGH zu holen (S. 34). – Georg Waitz ist ohne Zweifel der renommierteste Briefpartner der Grimms in diesem Band. Er war Schüler von Ranke, Lachmann, Homeyer und Savigny in Berlin. V.a. Ranke setzte sich für ihn ein, nachdem Moriz Haupt den Posten als Gehilfe Pertz’ abgelehnt hatte. Nur wenige Wochen nach der Aufnahme seiner Tätigkeit bei den Monumenta wandte sich der 23jährige Waitz – auf Betreiben Pertzʼ? – im Januar 1837 an Jacob Grimm und eröffnete den hier 47 Nummern umfassenden Briefwechsel; dieser enthält keinen einzigen Brief an Wilhelm Grimm, nur jeweils einen an und von dessen Frau Dorothea (geb. Wild). Waitz unterrichtete Jacob Grimm zunächst über den Fortgang der MGH. Mit dem Regierungsantritt Ernst Augusts im Juli 1837 – also ein halbes Jahr nach Aufnahme des Briefwechsels – nahm der Kreis um die Brüder Grimm, zu dem auch Georg Dahlmann gehörte und in den auch Waitz aufgenommen wurde, regen Anteil am politischen Leben im Königreich Hannover; Äußerungen über die Zeit des Hannoverschen Verfassungskonflikts sind jedoch so gut wie keine zu finden – die Briefpartner trauten der Zensur wohl einiges zu und besprachen heikle Themen eher bei persönlichen Treffen. Die ausführliche Einleitung der Hg. (S. 559–632) füllt diese Lücke: Hier ist die Sicht Waitzʼ zur Entlassung der Göttinger Sieben ausführlich behandelt, ergänzt aus den ungedruckten Tagebüchern im Bundesarchiv Berlin, so dass diese Einleitung als ausführliche Vorarbeit zu einer nach wie vor fehlenden Waitz-Biographie herhalten könnte. Den Umzug Pertzʼ und damit der MGH 1842 nach Berlin machte Waitz mit, blieb aber nur einen Sommer lang. Er traf im Haus des Philosophen Friedrich W. J. Schelling auf dessen zweite Tochter Clara und heiratete sie, noch bevor er im Oktober 1842 seine Professur in Kiel antrat. Erst in den 1850er Jahren wurde der Briefkontakt zu Jacob Grimm wieder intensiver. Ein wichtiges Thema ist die Vergabe des Göttinger Wedekind-Preises für Geschichte 1856. Waitz hatte den Preis schon 1837 zusammen mit Siegfried Hirsch gewonnen. Nun selbst Direktor der Stiftung, die ihn vergab, holte er den 1837 als einen der Göttinger Sieben aus dem Königreich Hannover ausgewiesenen Jacob Grimm in die Vergabekommission! In diesem Zusammenhang wird mit Brief 31 (Mai 1855) zum ersten Mal das Gutachten von Jacob Grimm über Potthasts Edition der Chronik Heinrichs von Herford publiziert. Im Begleitbrief äußert er Bedenken, wenn sie „in die schwerfälligen monumenta hingegeben werden soll“, er sähe die Publikation lieber „in einem bequemeren format“ (beide Zitate S. 722). Der letzte hier abgedruckte Brief 47 ist übrigens derjenige, mit dem Waitz Jacob Grimm ein gedrucktes Exemplar der Edition zukommen ließ – sie wurde tatsächlich nicht in die „schwerfälligen monumenta“ gegeben, sondern erschien 1859 als eigenständiges Buch bei der Dieterich’schen Verlagsbuchhandlung. Der Briefwechsel dokumentiert ab den 1850er Jahren erstaunlich offen „die Entwicklung von Jacob Grimms politischer Meinung für die letzten anderthalb Jahrzehnte seines Lebens“ (S. 561) und gipfelt in Brief 46 von 1858 mit Jacob Grimms berühmter, politisch radikaler Äußerung: „es kann nur durch rücksichtslose gewalt geholfen werden, je älter ich werde, desto democratischer gesinnt bin ich“ (S. 772). Von diesem Brief ist auch eine Abbildung des Originals beigegeben und zeigt, welch eine Herkulesaufgabe die Editoren mit der Transkription zu bewältigen hatten und immer noch haben. Aus Sicht der MGH kann man gespannt sein auf die Publikation des Briefwechsels der Brüder Grimm mit Georg Heinrich Pertz, von dem schon allein in der alten Kasseler Grimm-Sammlung 60 Briefe, v.a. von Jacob Grimm (58), an Pertz verzeichnet sind.
H. Z.
(Rezensiert von: Horst Zimmerhackl)