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I „dictamina“ del Codice Fitalia. Tra retorica, letteratura e storia, edizione critica a cura di Pietro Colletta / Fulvio Delle Donne / Benoît Grévin, con la collaborazione di Orsola Amore (Edizione nazionale dei testi mediolatini d’Italia 62, serie 1,32) Firenze 2022, SISMEL-Edizioni del Galluzzo, VIII u. 624 S., ISBN 978-88-9290-151-3, EUR 98. – Bislang waren die in einer Papierhs. des 14. Jh. überlieferten Eintragungen des Codice Fitalia (benannt nach seinem früheren Besitzer Girolamo Settimo, dem Fürsten von Fitalia; seit 1929 auf Wunsch des letzten Fürsten von Fitalia in der Biblioteca della Società Siciliana per la Storia Patria in Palermo, ms. Fitalia I. B. 25) nicht zusammenhängend oder auch nur vollständig bearbeitet, wenngleich es bereits inhaltliche Zusammenstellungen und Beschreibungen sowie Drucke einzelner Nummern dieses nicht nur für die Briefforschung interessanten Codex gab (vgl. H. M. Schaller, MGH Hilfsmittel 18, S. 225–230 Nr. 151; A. Giannone, Codice Fitalia, Archivio storico Siciliano 39, 1914, S. 93–135; Drucke u. a. bei Huillard-Bréholles, Historia diplomatica Friderici secundi, 1852–1861, oder Winkelmann, Acta imperii inedita, 1880–1885). Mit der nach langer Vorbereitung Ende 2022 erschienenen Edition legen die Hg. nun erstmals eine vollständige, an der Reihenfolge der Hs. ausgerichtete Bearbeitung des Codex vor. Gerade die Beibehaltung der Reihenfolge ermöglicht auch dem Leser eine genauere Vorstellung bezüglich der Hintergründe für die Anlage der Sammelhs. Diese erscheint zunächst eher unorganisiert oder sogar gedankenlos zusammengestellt – enthalten sind Briefe aus den Sammlungen des Thomas von Capua und des Petrus de Vinea neben Gedichten, Urkunden, Hymnen, Trauerreden, satirischen und fiktiven Briefen, aber auch eine Abschrift des Testaments Kaiser Friedrichs II., das Manifest König Manfreds an die Römer, die Konstantinische Schenkung, Briefformulare, generell viele Schreiben, die sich mit sizilischen und/oder staufischen Angelegenheiten befassen. In einer 71 Seiten umfassenden Einleitung, deren Kapitel die Hg. ebenso wie die Bearbeitung der einzelnen Editionsnummern unter sich aufgeteilt haben, werden nach einer kurzen kodikologischen Beschreibung des Codex, durch die dessen Anlage auf die erste Hälfte des 14. Jh. datiert wird, die einzelnen Eintragungen unter verschiedenen Aspekten beleuchtet (Anlage der Hs. als rhetorisches Lehrbuch oder als Spiegel der politischen Geschichte des 13. Jh.). Dabei kommen die Bearbeiter zu dem Ergebnis, dass man den Codex unter zwei Gesichtspunkten lesen könne: einem historisch-politisch-dokumentarischen und einem literarisch-rhetorischen Aspekt, womit er anderen ungeordneten Sammlungen mit Briefen aus den Sammlungen des Thomas von Capua oder des Petrus de Vinea durchaus entspricht – nicht aber den geordneten Sammlungen bzw. Redaktionen von Briefsammlungen. Besonderes Augenmerk legen die Hg. auf diejenigen Eintragungen, die sich nicht (mehr) in den Redaktionen befinden bzw. sogar nur über den Codice Fitalia überliefert sind. Gerade diejenigen Briefe, die sich nicht mehr in den geordneten Sammlungen befinden, werden von ihnen für möglicherweise authentischer oder älter gehalten (S. 26). Die Hg. widmen sich auch der Frage nach dem Output der Sammlung: Sie können nachweisen, dass die Texte des Codice Fitalia (oder einer nicht mehr erhaltenen bzw. unbekannten vergleichbaren Sammlung) durchaus als Vorlage für spätere Geschichtsschreibung oder rhetorische Werke gelten können (dezidiert prüfen sie Übernahmen bei Dante und Francesco Pipino). In der Edition selbst finden sich diesbezügliche Verweise leider nicht mehr (z. B. S. 66f. für Anklänge in Dantes Epist. 11 an eine Urkunde Honorius’ III., die nur über den Codice Fitalia überliefert ist: S. 149–151 Nr. 9). Die Edition der 151 (+22) Nummern (D. D.: 3, 4, 9, 26–34, 36, 38, 39, 41–58 [im Codex fehlen die ersten beiden Eintragungen]; G.: 5, 8, 10–25, 59–64, 66–117 [in der Hs. fehlt die Nr. 94]; C.: 35, 37, 40, 65, 118–156 [hier fehlen in der Hs. die Nr. 133 und 134]; A.: 6, 7) erfolgt – zwar nachvollziehbar, aber dennoch bedauerlich – in einem bereinigten Latein (vgl. die Kriterien für die Edition S. 69–73). Die Numerierung folgt derjenigen des Codex (daher das Fehlen der Nr. 1, 2, 94, 133 und 134; ab Nr. 107a wird zusätzlich auf die Zusammenstellung bei Schaller verwiesen). Jeder Nummer ist ein kurzes Regest vorangestellt. Anschließend erfolgen Angaben zur Überlieferung im Codex (leider sind die Folioangaben nicht immer fehlerfrei) sowie zu Drucken oder parallelen Überlieferungen, wobei meist nur die maßgeblichen Editionen berücksichtigt sind, Regesten (vornehmlich aus den Reg. Imp.) oder Verweise auf einschlägige Literatur. Nach Möglichkeit werden die Eintragungen datiert, wo nötig mit Hilfe von Parallelüberlieferung oder anhand der genannten Personen und Geschehnisse (vgl. bspw. S. 304f. Nr. 53 mit Anm. 1). Soweit in der Hs. vorhanden, beginnt der Text mit der Rubrik, aus der die Bearbeiter weitere Informationen für die Erstellung der Regesten beziehen (z. B. S. 132 Nr. 7: laut Regest gerichtet an den Erzbischof von Mailand und seine Suffragane, andere Empfänger finden sich bei Huillard-Bréholles, Historia Bd. 5 S. 327, oder Riedmann, MGH Briefe d. späteren MA 3 S. 70 Nr. 6). Die Edition orientiert sich an der Hs. (abgesehen von der Vereinheitlichung der Orthographie), Verbesserungen durch die Bearbeiter und einige Varianten aus anderen Überlieferungen werden in einem ersten Anmerkungsapparat verzeichnet. Auch wenn die Bearbeiter angeben, dass sie diesen Apparat nicht unnötig aufblähen wollten, wäre ein genauerer Abgleich – gerade zu Parallelüberlieferungen – interessant (kurze Stichproben ergaben häufig fehlende Varianten, z. B. S. 133 Anm. b: Hs. Israelitarum gignasia, der Druck bei Rodenberg, MGH Epp. saec. XIII 1 S. 646, bietet Ismaelitarum ginnasia, ein Blick in den Druck von Riedmann S. 71 zeigt die Variante Ismahelitarum gymnasia, was allerdings im Gegensatz zu anderen Varianten der Innsbrucker Briefsammlung nicht verzeichnet wird). Generell hätte die Einarbeitung der Parallelüberlieferungen (meist aus Drucken, Ausnahmen bspw. bei Nr. 87 und 89a) etwas größerer Genauigkeit bedurft: oftmals sind Seitenzahlen in den Drucken falsch (bspw. S. 132 Nr. 7: der Druck bei Riedmann steht auf S. 70–83 statt S. 171–183, oder S. 307 Nr. 55: der Druck bei Riedmann findet sich auf S. 245f. Nr. 169 statt S. 254f. Nr. 177); nicht einheitlich oder fehlerhaft gestaltet sind auch die Angaben zu den Vorlagen der Drucke (vgl. z. B. S. 271 Nr. 41: weder Martène / Durand noch Hahn legten ihrer Bearbeitung den Pariser Codex ms. lat. 13059 zu Grunde; bei anderen Texten erfolgt keinerlei Hinweis, auf welche Quellen der jeweilige Druck sich stützt, z. B. S. 369 Nr. 79), die Angabe der Varianten aus anderen Editionen schwebt also oftmals etwas in der Luft (ähnlich auch S. 203–219 Nr. 27, hier S. 204, wo D. D. darauf verweist, dass der Bearbeiter des MGH DD-Bandes eine weitere kopiale Überlieferung des Manifests Manfreds an die Römer verwendet habe, obwohl es sich dabei um eine Abschrift des Codice Fitalia handle – die Nachprüfung ergab, dass diese kopiale Überlieferung nur verwendet wurde, um Fehlstellen in der Hs. zu bearbeiten, und als wenig vertrauensvoll bewertet wurde, vgl. MGH DD Manf S. 341f.). Für einen Nutzer, der weniger häufig mit Editionen arbeitet, stellt auch das Fehlen eines Abkürzungsverzeichnisses eine Herausforderung dar – gerade hinsichtlich der im Variantenapparat genutzten Abkürzungen. Sehr interessant sind die beiden anderen Fußnotenapparate: Im zweiten Apparat werden Zitate und Anklänge verzeichnet, wobei letztere oftmals durch ausführliche Zitate belegt werden, um einen direkten Vergleich mit der Hs. zu ermöglichen. Schade, dass dieser Apparat nicht durch ein Register erschlossen wird! Im dritten Apparat werden Hinweise zu Personen oder Geschehnissen zusammengestellt, vereinzelt erfolgen hier auch Angaben zu kanzleigemäßen Formulierungen (S. 207 Anm. 8) oder vergleichbaren literarischen Texten (S. 220 Anm. 2). Die Edition schließt mit drei Indices: Der erste verzeichnet die Incipit und Excipit der Eintragungen (S. 601–606), schön wäre hier noch ein Verweis auf etwaige Nummern bei Petrus de Vinea oder Thomas von Capua gewesen. Die folgende Zusammenstellung von Hss. ist in der gewählten Form wenig zielführend: So wird z. B. auf eine Münchener Hs. hingewiesen, die dann nur in einem Nebensatz einer Fußnote für eine Variante eines Drucks aufscheint (S. 607, Hs. MGH 1 mit Verweis auf S. 289), ein Quellenverzeichnis der Parallelüberlieferungen sucht man hingegen vergebens (die Drucke sind in das Literaturverzeichnis aufgenommen). Der letzte Index stellt in den Briefen genannte Orte und Personen zusammen, die Identifikationen sind dem oben angeführten Fußnotenapparat zu entnehmen. Auf ein Wortregister verzichten die Bearbeiter. Auch wenn die Edition hinsichtlich der Genauigkeit und Gründlichkeit noch etwas größerer Fürsorge bedurft hätte, darf man nicht übersehen, welch großartige Quellenbearbeitung hier nun vorliegt. Gerade die Einordnung als eine Hs., die zwischen reiner Brieflehre und Geschichtsdokumentation steht, und sich daraus ergebende Fragestellungen (bspw. bezüglich der Vorlagen oder der späteren Verbreitung) können mithilfe der nun vorliegenden Edition weiter vorangetrieben werden.

K. G.

(Rezensiert von: Katharina Gutermuth)