Achim Bonk, Das Frauenstift Fischbeck und die Windesheimer Reform. Untersuchungen zum Kapitelsbuch Ms I, 190 der Gottfried Wilhelm Leibniz Bibliothek Hannover. Mit Editionsteil (Kirchengeschichtliche Quellen und Studien 2) Hildesheim u. a. 2022, Univ.-Verlag Hildesheim / Georg Olms Verlag, 755 S., ISBN 978-3-487-16337-6, EUR 99. – In der im April 2022 eingereichten Hildesheimer Diss. widmet sich der Vf. dem nordwestlich von Minden gelegenen Damenstift Fischbeck. B. konzentriert seine Untersuchung auf den gut hundert Jahre umfassenden Zeitraum zwischen 1450 und dem Beginn der Reformation. Den Ausgangspunkt seiner Arbeit bilden zwei Quellen, die während dieser Reformzeit entstanden und noch erhalten sind: das unter der Signatur Codex Ms I 190 in der Gottfried Wilhelm Leibniz Bibl. aufbewahrte Kapitelsbuch des Stifts sowie das Memorialbuch, das unter der Signatur Hs IV im Archiv des Stifts liegt. Die Arbeit gliedert sich in zwei Teile: Im ersten Abschnitt (A) bietet B. eine Analyse und Interpretation der beiden Hss. Diese Analyse wird eingebettet in eine Darstellung zu den Bedingungen ihrer Entstehung: Ähnlich wie in anderen vorreformatorischen Klöstern lässt sich auch in Fischbeck ein finanzieller und geistlich-geistiger Niedergang im 15. Jh. nachweisen. Die Äbtissin Kunigunde von Möllenbeck (1443–1451) scheint als erste die Ideale der Devotio moderna aufgegriffen zu haben. Unterstützt wurde das Reformvorhaben von dem Windesheimer Visitator Johannes Busch, der jedoch vermutlich erst nach ihrem Tod über 20 Jahre hinweg Fischbeck visitierte. Insbesondere die nachfolgende Äbtissin Armgard von Reden hat sich um die Umsetzung der Reformziele verdient gemacht, wozu auch die Erneuerung der liturgischen Bücher gehörte. In diesem Zusammenhang wurde das Kapitelsbuch bis zum Jahr 1509 neu geschrieben. Es enthält ein Martyrologium, ein Evangelistar und einen Kommentar zur Augustinusregel nach Hugo von St. Viktor. Im Vergleich mit anderen Kapitelsbüchern der Windesheimer Kongregation und anderer Stifte aus dieser Zeit zeigt B. auf, dass das nur schlicht rubrizierte Fischbecker Kapitelsbuch vom Aufbau und Wortlaut her eine große Nähe zum normierten Textbestand der Windesheimer Kongregation aufweist. B. untersucht außerdem das Memorialbuch Hs IV (FMb 1), das nicht in das Kapitelsbuch eingebunden wurde, aber einen direkten Vorgänger des dort eingebundenen, später entstandenen Memorialbuchs (FMb 2) darstellt. Anhand dieses älteren Memorialbuchs kann B. nachweisen, dass im Zuge der Reform die Gedenk- und Memorialfeiern stark reduziert wurden. Der Bestand an darin verzeichneten Namen ist auf die nähere Umgebung eingegrenzt, das Memorialbuch vermittelt daher „den Eindruck einer abgekapselten, ganz auf sich konzentrierten Institution“ (S. 114). Im weitaus umfangreicheren zweiten Abschnitt (B) bietet B. eine erstmalige Edition des Kapitels- und des Memorialbuchs. Darin führt er seinen Vergleich mit anderen Kapitelsbüchern fort und weist abweichende Überlieferungen aus. Diese Abweichungen sind durch unterschiedliche Drucktypen (fett, kursiv, hellere Farbe) hervorgehoben – eine editorische Entscheidung, die zu Beginn der Edition erläutert wird, die Lektüre jedoch mitunter etwas erschwert. Die Edition verzichtet unter Verweis auf die digitalisierten Hss. auf einen kritischen Apparat. In einem Anhang (C) führt B. weitere Quellen zur Stiftsgeschichte auf, die er in Teil A herangezogen hat und die nicht in Fischbeck überliefert sind. So lässt sich seine Argumentation im ersten Teil am originalen Wortlaut verifizieren. Ein Verzeichnis der Schriftstellen des Fischbecker Evangelistars und der Heiligen des Martyrologs schließt den umfassenden Anhang ab und bietet die Möglichkeit gezielter Recherche. Das Buch reiht sich ein in die umfangreiche Zahl von Untersuchungen zu vorreformatorischen Klosterreformen, unter denen die Windesheimer Kongregation neben der Bursfelder zu den wirkmächtigsten im norddeutschen Raum gehörte. B.s großes Verdienst liegt darin, dass er alle Fischbecker Schriftquellen des MA in ihren kalendarischen Teilen erfasst und ediert und so eine überaus solide Grundlage für die weitere Erforschung der Stiftsgeschichte gelegt hat. Zugleich bietet er am Beispiel des Stifts Fischbeck eine Antwort auf die Frage, wie vorreformatorische Reformen in Frauenklöstern rezipiert und umgesetzt wurden.
Caecilia-Désirée Hein
(Rezensiert von: Caecilia-Désirée Hein)