Otlone di Sant’Emmerano, Vita sancti Nicolai (BHL 6126). Edizione critica, traduzione e commento a cura di Christian Giacomozzi (Quaderni di „Hagiographica“ 22) Firenze 2021, SISMEL – Edizioni del Galluzzo, XV u. 370 S., ISBN 978-88-9290-080-6, EUR 56. – Der vor allem für seine autobiographischen Schriften bekannte Otloh war auch ein fruchtbarer Hagiograph; für einen großen Teil seiner Heiligenviten liegen freilich noch keine ernstzunehmenden wissenschaftlichen Editionen vor. Durch die Tridentiner Diss. von G. gilt das nun zumindest für die Nikolausvita nicht mehr. Anders als viele andere von Otlohs Werken ist dieser Text nicht im Autograph überliefert, sondern nur in späteren Abschriften. Die Arbeit des Editors wird allerdings dadurch erleichtert, dass Otloh sich in der Regel sehr eng an seine beiden Quellen hält (vgl. die Synopse im Anhang S. 281–345), die Vita des Johannes Diaconus von Neapel und einen anonymen Text, der Otloh zufolge ihm ex longinquis contiguisque Grecie regionibus (Prolog, S. 134) zugebracht wurde. Diese beiden Vorlagen lassen sich mehr oder weniger exakt bestimmen – da aber auch für sie noch keine modernen kritischen Editionen verfügbar sind, bleibt die Aufgabe herausfordernd genug, und G. stellt sich ihr mit Akribie und Sachverstand. Schwierigere editorische Entscheidungen begründet er jeweils im einzelnen in einem separaten Sachkommentar, immer einleuchtend und nachvollziehbar. Ein solches Vorgehen würde man sich viel öfter von Editoren wünschen; bei G. bleibt hingegen kein Wunsch offen außer vielleicht einem einzigen: Man könnte auch vom lateinischen Text aus auf den Kommentar verweisen, nicht nur von der italienischen Übersetzung. Die Vita selbst ist, wie gesagt, eng an den Quellen orientiert, die Otloh nur durch Straffung und Glättung in einem gewissermaßen klassizistischen Sinn überarbeitet hat, wie das auch in seinen anderen Heiligenviten zu beobachten ist. Zwei Kapitel dürften allerdings auf ihn selbst zurückgehen: Der Bericht über einen Diebstahl im Kloster St. Emmeram, der nach einer Anrufung des heiligen Nikolaus aufgeklärt wurde (c. 30, S. 216f., mit weiterer Überlieferung S. 257–261), und die Bekehrungsgeschichte eines konvertierten Kölner Juden, von diesem selbst in direkter Rede erzählt, die G. als nicht zum Vitentext gehörig separat ediert (S. 263–279). Alles deutet darauf hin, dass diese Geschichte die Herkunft von Otlohs anonymer Vorlage erklären soll, wird doch genau von diesem Juden behauptet, er habe in Griechenland einen libellus über den heiligen Nikolaus erworben und mit sich gebracht. Das bleibt Vermutung, aber eine sehr ansprechende.
V. L.
(Rezensiert von: Veronika Lukas)