Lucie Doležalová / Magda Králová et al. (Hg.), Opuscula. Neznámá dílka z rukopisů Kříže z Telče [Opuscula. Unbekannte Werklein aus den Handschriften Křížs von Telč], Praha 2022, Scriptorium, 424 S., 52 Abb., ISBN 978-80-7649-042-0, CZK 352. – Der eifrige Kopist Kříž von Teltsch/Telč (1434–1504), Kanoniker des Augustinerklosters im südböhmischen Wittingau (Třeboň), hinterließ auch im europäischen Vergleich ein außerordentlich beachtliches Werk (vgl. DA 77, 198–200), das sukzessive vor allem durch das Verdienst von D. wiederentdeckt wird. An ihrer Wirkungsstätte, dem Institut für griechische und lateinische Studien an der Philosophischen Fakultät der Karls-Univ. in Prag, hat sie ein Team von Studenten des Magister- und Doktorandenstudiums um sich versammelt, mit dem sie einen weiteren Band vorbereiten konnte, der diesmal ausnahmslos kleineren Werken in den Hss. des Kříž von Telč gewidmet ist. Opusculum wird hier als „abgerundeter Text kleineren Umfangs“ definiert, wobei – mit Blick auf die methodische Reflexion – dieser als schmale, für das Spät-MA charakteristische Informationseinheit begriffen wird. In den konkreten Fällen handelt es sich vor allem um kurze Texte, Anmerkungen, Exzerpte, Ausschnitte, Übersichten, Summae etc. literarischen und nichtliterarischen Charakters, die in unterschiedlichen Milieus Verwendung fanden und verschiedene Funktionen erfüllten. Gerade diese häufig fluiden Gebilde blieben bislang (nicht allein) in der einheimischen Mediävistik unberücksichtigt. Die Publikation präsentiert verschiedene Typen dieser Opuscula und verweist auf deren hsl. Kontext, die literarische Tradition, Vorbilder und Rezeption. Grundlegendes Motiv ist die Aufdeckung eines „Textnetzes, mit dem das entsprechende Opusculum verknüpft ist“ und dem für Bedeutung und Funktion des Werkleins eine Schlüsselrolle zukommt. Das behandelte lateinische (im Ausnahmefall alttschechische) Opusculum wird jeweils durch eine Edition (mit Übertragung ins Tschechische) zugänglich gemacht, die vom zeitgenössischen grammatischen und syntaktischen Usus ausgeht und Unregelmäßigkeiten und Schreiberfehler berücksichtigt. Die 18 Beiträge sind in fünf Themenblöcke gegliedert, die jeweils die konkrete Situation reflektieren, in der das Opusculum entstand. Das typische Milieu bildeten die niederen Schulen und die Universität (S. 25–82). Vorgestellt werden kleine, einen antiken Stoff verarbeitende Schultexte (Jakub Kozák), mnemotechnische Texte in Versform mit einer Synopse der aristotelischen Physik (Physica) und des ersten Buchs von dessen Werk De anima (ebenfalls Kozák) sowie Sammlungen von Rätseln zur Übung der Sprachfertigkeiten der Schüler (Doležalová). Der zweite Block (S. 83–177) richtet den Blick auf kleine Formen in der Predigttätigkeit. Präsentiert werden hier drei Predigten (De novo anno pulcerrimus; Sermo de die iudicii pulcerrimus; De muliere tractatus) (L. Doležalová / M. Králová), darüber hinaus 13 Exempel aus einer umfangreicheren Sammlung (Zuzana Smetanová / Anna Pavlíková) und schließlich eine ausführliche inhaltliche und kontextuelle Analyse eines Exzerpts aus der Fronleichnamspredigt in der Postille Gratiae Dei des Militsch von Kremsier (Michael Lužný). Der dritte Block (S. 179–252) reflektiert die religiöse Dichotomie der böhmischen Länder im 15. Jh. und widmet sich tagesaktuellen Texten aus dem Bereich der religiösen Polemik. In der Tradition ma. Streitliteratur wird der Dialog zwischen einem Mönch und einem Ritter über die Basler Kompaktaten wiedergegeben (Dušan Coufal / Kristýna Loušová). Als weitere charakteristische Formen der Polemik sind im Buch zu finden: eine Invektive gegen den hussitischen König Georg von Podiebrad (Pavel Tříska / Aneta Králová Lesná), ein satirisches Gedicht böhmischer Provenienz über schwelgerische Mönche (Karel Pacovský) sowie eine Sammlung von Exzerpten und Anmerkungen zur Liturgie in slawischer Sprache und zum tschechischen Gesang, die mit der Kritik an der liturgischen Praxis der Hussiten zusammenhängt (Martin Šenk / Z. Smetanová). Der vierte Block (S. 253–334) bietet unter der Bezeichnung Anweisungen und Leitfäden unterschiedliche kurze Texte (Berenika Bendová, Verse über den Einfluss von Lebensmitteln auf die Gesundheit der Stimme, Pro voce, die in der Tradition der regimina sanitatis stehen; Andrea Svobodová, alttschechische Anleitungen zum Anbau von Safran – sehr beliebt bei der Zubereitung von Speisen und in der Medizin; Martin Roček, Traumdeutung – am Beispiel des Somniale Danielis; K. Loušová, Magie – die Suche nach einem Schatz, zwei Anleitungen zur Schatzsuche mithilfe einer Kerze und einer Wünschelrute). Die fünfte und letzte Sektion (S. 335–395) ist Aufzählungen, Summarien, Übersichten und Anmerkungen vorbehalten (P. Tříska, Sprichwörter gegen Frauen, misogynen Charakters mit moralisch-lehrhafter Funktion; Eliška Frešerová / Ondřej Fúsik / P. Tříska, Bräuche der St. Johannisnacht: De vigilia sancti Iohannis Baptiste consuetudines; L. Doležalová, Ein Traktätlein über die Reinigung des Mundes durch Wein nach der heiligen Kommunion mit einem Plädoyer für die Bewahrung der bestehenden liturgischen Praxis; L. Doležalová / M. Králová, Sehr kurze Texte – Kolophone, Zuschreibungen, verschiedene Anmerkungen, kurze Verzeichnisse). Am Ende finden sich ein englisches Resümee (S. 399–402) sowie Register der Namen, Hss., Bibelstellen, Orte, Incipits (S. 403–420). Die mit zahlreichen instruktiv ausgewählten Abbildungen ausgestattete Publikation kann als herausragendes Beispiel für die Verbindung zwischen grundlegender, exzellenter Quellenforschung und der Lehre im Fach lateinische Mediävistik an der Karls-Univ. unter der Ägide der inspirierenden D. angesehen werden.
Jan Hrdina
(Rezensiert von: Jan Hrdina)